Der dritte Zustand
Topfpflanzen Morgen für Morgen und Abend für Abend, bis sie absterben und Teddy neue kauft, die ebenfalls ertrinken. Und hilft sogar beim Staubsaugen, wie Teddy es ihm beigebracht hat. Saugt und saugt, selbst die Bilder und Spiegel an den Wänden und unsere Füße. Man kann ihn gar nicht stoppen. Erinnerst du dich an meinen Vater? Den liebenswerten, pflichtgetreuen Genossen Naftali Zwi Levin, Mitbegründer des historischen Javne’el? Jetzt ist er ein greiser Pionier, dreiundachtzig Jahre alt, senil wie ein Stein, sitzt da in Afula im Heim, guckt den ganzen Tag gegen die Wand, und was man ihn auch fragt – wie geht’s dir, was gibt’s Neues, was brauchst du, wer bist du, wer bin ich, wo tut’s dir weh – auf alles antworteter immer und ausnahmslos mit der dreiwörtigen Gegenfrage: ›In welcher Hinsicht?‹ Natürlich in aschkenasischem Tonfall. Nur diese drei Worte sind ihm geblieben von Thora und Talmud und Midrasch und chassidischen Legenden und Aufklärung und Bialik und Buber und all dem jüdischen Wissen, das er mal auswendig gekonnt hat. Ich sage dir, Efraim, bald bleiben auch mir nur noch drei Worte: nicht ›in welcher Hinsicht‹, sondern ›laßt mich allein‹. Laßt mich in Ruhe, Efraim. Ich bin nicht eure Mutter. Ich habe ein Projekt, das sich schon jahrelang hinschleppt, weil sich mir ein ganzer Haufen Babys an den Ärmel hängt, damit ich ihnen die Nase putze. Als ich noch klein war, hat mein Pioniervater mir immer wieder eingeschärft, ich solle mir merken, daß in Wirklichkeit die Männer das schwache Geschlecht sind. Das war so eine Weisheit von ihm. Und soll ich dir was sagen? Wenn ich deinetwegen nun schon den Friseur verpaßt hab’? Wenn ich damals begriffen hätte, was ich heute weiß, wäre ich Nonne geworden. Hätte mich mit Düsentriebwerken verheiratet. Hätte mit Vergnügen auf das gesamte schwache Geschlecht verzichtet. Gibst du ihnen den kleinen Finger – wollen sie die ganze Hand. Gibst du ihnen die ganze Hand – wollen sie nicht mal mehr den kleinen Finger von dir haben. Nur daß du still an der Seite hockst, Kaffee machst und nicht störst. Daß man dich gar nicht bemerkt. Koche, bügle, bumse und schweige. Gibst du ihnen Urlaub von dir – kommen sie innerhalb von zwei Wochen auf allen vieren wieder reuig bei dir angekrochen. Was wolltest du denn heute von mir genau, Efraim? Einen kleinen Fick am Morgen in Erinnerung an bessere Zeiten? In Wirklichkeit wollt ihr ja nicht einmal das so richtig. Zehn Prozent Lust und neunzig Prozent Lustspiel. Jetzt kommst du hier angelaufen, wenn du meinst, daß Teddy nicht zu Hause ist – den Arm voll Blumen und den Mund voll Reden, ein alter Experte im Trösten von Witwen und Waisen –, in der Hoffnung, daß ich heute endlich vor lauter Mitleid schwach werde und dich eine Viertelstunde mit ins Bett nehme. Als Schweigegeld. Fünf Jahre habe ich mit dir in einem Bett geschlafen, und du wolltest in neunzig Prozent der Nächte nichts anderes als endlich fertig werden, auslaufen, abtrocknen, das Licht wieder anknipsen und die Zeitung weiterlesen. Geh jetzt, Efraim. Ich bin eine Frau von neunundvierzig Jahren, und du bist auch ein etwas älterer Knabe. Diese Geschichte ist aus. Es gibt keinen zweiten Durchlauf. Ich hatte ein Kind von dir, und du wolltest es nicht haben. Da bin ich als braves Mädchen hingegangen und habe es umgebracht, um deine Berufung zum Dichter nichtzu erschweren. Warum mußt du’s mir und uns allen immer wieder schwermachen? Was willst du denn noch von mir? Bin ich etwa schuld, daß du alles vergeudet hast, was war und was hätte sein können und was du in Griechenland gefunden hattest? Bin ich schuld, daß das Leben vergeht und die Zeit alles aufzehrt? Bin ich schuld, daß wir alle jeden Tag ein bißchen weiter sterben? Was willst du noch von mir?«
Fima erhob sich also schuldbewußt, elend, geringer als ein Grashalm, stammelte eine blasse Entschuldigung, begann seine Jacke zu suchen und stieß plötzlich niedergeschlagen hervor: »Jetzt ist Februar, Jael. Bald hast du Geburtstag. Hab’ ich vergessen gehabt. Oder vielleicht war er schon? Ich weiß nicht, welches Datum wir heute haben. Nicht einmal drei Phasen kann ich dir schenken.«
»Heute ist Freitag, 17. Februar 1989. Elf Uhr zehn. Na und?«
»Du sagst, wir wollten alle was von dir und du hättst nichts mehr zu geben.«
»Welch ein Wunder: Anscheinend hast du doch einen halben Satz mitgekriegt.«
»Aber in Wirklichkeit will ich gar nichts von dir, Jael. Im
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