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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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vor, einen Fremden zu spielen, während sie noch ein unberührtes, naives, schüchtern ängstliches junges Mädchen sein sollte. Seine Rolle bestand darin, sie geduldig zu verführen. Und es gelang ihm, ihr an Schmerz grenzende Lust zu bereiten. Er entlockte ihr Rufen und Flehen und sanfte Überraschungsschreie. Je länger sie ihn abwies, desto stärker und tiefer wurde der Genuß – in seinen Fingerspitzen, ja in jeder Zelle seines Körpers entfaltete sich ein geheimnisvoller Gehörsinn, kraft dessen er genau erkannte, was ihr wohltat: als sei es ihm gelungen, einen Kundschafter in den dunklen Nervenknoten am Ende ihrer Wirbelsäule einzuschleusen. Oder als sei er Fleisch von ihrem Fleische geworden. Bis Berühren und Berührtwerden nicht mehr Handlungen zwischen Mann und Frau waren und sie beide wie einer wurden, der seine eigenen Dürste stillt. Und er fühlte sich an jenem Tag nicht wie ein Mann, der zur Jungfrau kommt, sondern so, als lebe er seit eh und je in ihrem Schoß, der nicht mehr ihrer, sondern ihrer beider war, und sein Glied nicht mehr seines, sondern ihrer beider Glied, und als umhülle seine Haut nicht mehr seinen, sondern ihrer beider Körper.
    Gegen Abend hatten sie sich angezogen und waren in eines der dichtbewachsenen Wadis am Hang des Karmelmassivs hinabgewandert. Waren bis zum Einbruch der Dunkelheit durch das grüne Dickicht gestreift, ohne zu sprechen oder einander zu berühren, und nur ein Nachtvogel hatte ihnen mehrmals einen kurzen, geschliffenen Satz gesagt, den Fima wunderbar nachahmen konnte, worauf Jael leise und herzhaft auflachte und fragte, vielleicht haben Sie irgendeine einleuchtende Erklärung, guter Herr, wie es sein kann, daß ich Sie auf einmal ziemlich liebe, obwohl wir in Wirklichkeit weder verwandt noch sonstwas sind?
    Er schlug die Augen auf und sah seine geschiedene Frau – schlank, fast eingeschrumpft, eine alternde Guilietta Masina in grauen Kordhosen und dunkelrotem Pulli – mit dem Rücken zu ihm dastehen und stur weiter Küchenhandtücher falten. Es kann doch nicht sein, daß sie solche Mengen an Küchentüchern besitzt, die sie faltet und faltet, ohne je fertig zu werden, dachte er. Oder nimmt sie wieder auseinander, was sie schon gefaltet hat, weil der Falz nicht exakt nach ihrem Willen ausgefallen ist? Er erhob sichalso wie ein Mann, der genau weiß, wie man’s macht, umarmte sie von hinten, legte ihr die eine Hand auf den Mund, die andere über die Augen und küßte ihr den Nacken, die Haarwurzeln, den Rücken. Der Duft einfacher Handseife, vermischt mit einem Anflug von Tabaksgeruch aus Teddys Pfeife stieg ihm in die Nase und entfachte in ihm einen leichten Wirbel der Lust, begleitet von Wehmut, die er unterdrückte. Er hob ihren schmalen, kindlichen Körper hoch, und wie er zwei Nächte zuvor ihren Sohn auf den Armen getragen hatte, trug er jetzt Jael und legte sie im Schlafzimmer aufs selbe Bett, und wie er Dimmi gestreichelt hatte, strich er auch ihr über die Wange. Aber er versuchte weder die Tagesdecke wegzurollen noch seine und ihre Kleidung abzustreifen, sondern schmiegte sich in ganzer Körperlänge an sie und barg ihren Kopf in seiner Achselhöhle. Statt »ich sehne mich nach dir«, brachte er wegen der Müdigkeit wispernd die Worte »ich stammle nach dir« heraus. Sie lagen eng, aber nicht umschlungen, Seite an Seite beieinander, ohne sich zu regen, ohne zu sprechen, seine Körperwärme auf ihren Körper und ihre auf seinen ausstrahlend. Bis sie ihm zuflüsterte: Genug. Jetzt sei lieb und geh.
    Fima gehorchte schweigend, stand auf, fand seine Jacke und trank den Rest des zweiten Kaffees, den sie ihm eingeschenkt hatte und der ebenfalls schon abgekühlt war wie sein Vorgänger. Sie hat mir gesagt, ich soll in die Stadt gehen, um Dimmi ein Aquarium mit Zierfischen zu kaufen, dachte er, und ich werd’s besorgen. Beim Weggehen gelang es ihm, die Tür so sanft und präzise hinter sich zuzuziehen, daß kein Laut zu hören war. Nicht mal ein Klicken. Kein einziger Ton. Als er dann Richtung Norden ging, hielt diese Stille sowohl auf der Straße als auch in seinen Gedanken an. Langsamen Schrittes schlenderte er die ganze Hechaluz-Straße entlang und versuchte zu seiner Verblüffung, die Melodie des alten Liedes von dem Mann namens Johnny, den sie Johnny Guitar nannten, zu pfeifen. Schau her, sagte er sich, jetzt könnte man behaupten, daß alles verloren oder gar nichts verloren ist, und die beiden Aussagen heben einander keineswegs auf. Eigentümlich,

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