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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Jahre uns alle zusehends der Genußfähigkeit und des Sehnsuchtsvermögens entkleiden, so daß alles verschleißt und verblaßt. Daher erschien er selber in seinen schabbatabendlichen Decamerone-Geschichten in etwas komischem Licht, als prüfe der Erzähler Uri Gefen den Liebhaber Uri Gefen unter dem Mikroskop und filtre erbarmungslos das Lächerliche heraus. Manchmal sagte er: »Bis man anfängt, was zu begreifen, ist die Amtszeit abgelaufen.« Oder: »Es gibt ein bulgarisches Sprichwort, das besagt: Ein alter Kater behält am besten, wie man jault.«
    In Uris Gesellschaft – mehr noch als in Ninas Armen – wurde Fima stets von einer Welle der Sinnlichkeit gepackt. Uri weckte bei ihm den stürmischen Drang, diesen wunderbaren Burschen zu beeindrucken, ja sogar zu verblüffen. Ihn in der Diskussion zu schlagen. Seinen starken Händedruck zu spüren. Aber nicht immer gelang es Fima, Uri in der Diskussion zu besiegen, denn Uri war ebenfalls mit durchdringendem Witz begabt, der Fimas Scharfsinn nicht nachstand. Und sie hatten auch die Fähigkeit gemeinsam, mit ungezwungener Leichtigkeit vom Humoristischen in tragische Einsicht und zurück zu wechseln. Mit zwei Sätzen eine Argumentation zu zerstören, die sie eine Viertelstunde lang mühsam entwickelt hatten.
    An den Schabbatabenden bei Uri und Nina war Fima in seinem Element: Wenn ihn die Muse küßte, war er imstande, die ganze Gesellschaft bis in die kleinen Morgenstunden mit einem Reigen schillernder Widersprüche zu fesseln. Durch eine politische Analyse zu verblüffen. Sie zu amüsieren und in Erregung zu versetzen.
    »So einen wie Fima gibt’s nicht noch mal«, pflegte Uri Gefen mit väterlicher Zuneigung zu sagen.
    Worauf Fima ergänzte: »Und einer davon ist auch schon zu viel.«
    Und Nina anfügte: »Schaut euch diese beiden an. Romeo und Julius. Oder richtiger Dick und Doof.«
    Fima zweifelte kaum daran, daß Uri längst von seinen, Fimas, seltenen Schäferstündchen mit Nina wußte. Vielleicht fand er das amüsant. Oder rührend. Womöglich war Uri von Anfang an der Autor, Regisseur und Produzent dieser kleinen Komödie gewesen: Manchmal stellte sich Fima im Geist Uri Gefen vor, wie er morgens aufstand, sich mit einer erstklassigen Klinge rasierte, am Frühstückstisch Platz nahm, eine blütenweiße Serviette über die Knie breitete, in sein Notizbuch schaute und aufgrund eines Kreuzchens, das bei ihm in zweimonatigen Abständen verzeichnet war, Nina beim Kaffeetrinken, hinter seiner Zeitung versteckt, daran erinnerte, daß es diese Woche Zeit sei, Fima seine periodisch fällige Behandlung zukommen zu lassen, damit er nicht völlig austrockne. Doch dieser Verdacht tat weder seiner Sympathie für Uri noch dem körperlichen Wohlgefühl und der geistigen Hochstimmung, die ihn in Gegenwart seines charismatischen Freunds stets erfüllte, den geringsten Abbruch.
    Alle paar Wochen erschien Nina ohne Vorwarnung um zehn oder elf Uhr morgens, parkte ihren verstaubten Fiat vor dem klobigen Wohnblock in Kiriat Jovel und schleppte zwei Taschen voll Lebens- und Reinigungsmitteln an, die sie unterwegs eingekauft hatte – eine Art hartgesottene Sozialarbeiterin, die unter Einsatz ihres Lebens an die vorderste Notstandsfront vorprescht. Nach einem fast wortlos eingenommenen Kaffee stand sie auf und streifte energisch die Kleider ab. Dann legten sie sich rasch hin, waren in Null Komma nichts fertig und sprangen schnell wieder auf, wie zwei Soldaten im Schützengraben zwischen zwei Bombenhageln eilig eine Konserve verschlingen.
    Sofort nach der Liebe schloß Nina sich in Fimas Badezimmer ein, schrubbte ihren hageren Körper und in einem Schwung auch gleich noch Waschbecken und Klosettschüssel. Erst dann setzten sie sich zum Kaffeezusammen, um über politische Dichtung oder die große Koalition zu debattieren, wobei Nina kettenrauchte und Fima eine Scheibe Schwarzbrot mit Marmelade nach der anderen futterte. Niemals gelang es ihm, der Verlockung dieses warmen kräftigen Brots zu widerstehen, das sie ihm aus einer kleinen georgischen Bäckerei mitbrachte.
    Fimas Küche sah immer aus wie nach der Flucht: leere Flaschen und Eierschalen unter dem Spülstein, offene Schraubgläser auf der Marmorplatte, vertrocknete Marmeladenhäufchen, angebrochene Joghurtbecher, Beutel mit sauren Milchresten, Krümel und klebrige Inseln auf dem Tisch. Wenn Nina gelegentlich vom missionarischen Eifer gepackt wurde, krempelte sie den einen Ärmel hoch, streifte Gummihandschuhe über und stürzte

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