Der dritte Zustand
Vergessenheit gerätst. Was hast du denn für eine Verabredung gehabt? Mit einer Sirene? Unter Wasser? Sogar deine Unterwäsche ist naß.«
Fima, der nur noch lange Unterhosen und ein angegrautes Winterunterhemd anhatte, grinste: »Meinetwegen soll’n sie mich vergessen. Ist mir ja selbst schon entfallen. Soll ich auch die Unterwäsche ausziehen? Was, du wickelst weiter deinen Sexshop ab? Übergibst du mich auch diesen Ultrafrommen?«
Nina war Rechtsanwältin, in seinem Alter und Jaels Freundin, eine dem Nelson-Zigaretten-Rauchen verfallene Frau, deren Brille ihr ein bissiges Aussehen verlieh. Ihr dünnes, graumeliertes Haar war erbarmungslos gestutzt. Mager und eckig war sie, wie ein hungriger Fuchs, und ihr dreieckiges Gesicht erinnerte Fima ebenfalls an einen von seinen Verfolgern eingekreistenVertreter dieser Gattung. Aber ihre Brüste waren schwer und attraktiv, und die wunderbar geformten Hände hätten einem Mädchen aus dem Fernen Osten gehören können. Sie reichte ihm ein Bündel von Uris Kleidern – gebügelt und fein sauber riechend – und befahl: »Zieh dich an. Und trink. Und setz dich hier an den Kamin. Versuch vielleicht, ein paar Minuten nicht zu reden. Der Irak siegt offenbar auch ohne deine Hilfe. Ich mach’ dir Rührei und Salat. Oder soll ich Suppe warm machen?«
»Mach mir überhaupt nichts«, sagte Fima. »Fünf Minuten, dann geh’ ich.«
»Was, hast du noch eine Verabredung?«
»Heute morgen hab’ ich das Licht in der ganzen Wohnung brennen lassen. Und außerdem –«
»Ich fahr’ dich heim«, sagte Nina. »Nachdem du ein bißchen trocken und warm geworden bist und was gegessen hast. Jael hat mich vorhin angerufen. Von ihr weiß ich, daß du nichts gegessen hast. Sie sagte, du hättest Teddy zugesetzt. Der Eugen Onegin aus Kiriat Jovel. Still. Keine Widerrede.«
Uri Gefen, Ninas Mann, war einst ein berühmter Kampfflieger und danach Pilot bei El Al gewesen, bevor er 1971 in die Privatwirtschaft überwechselte und einen verzweigten Importhandel aufbaute. In Jerusalem war Uri als Ehefrauenjäger berüchtigt. Die ganze Stadt wußte, daß Nina sich mit seinen Abenteuern abgefunden hatte und seit Jahren eine Art platonische Freundschaft zwischen beiden herrschte. Manchmal wurden Uris Flammen Ninas Freundinnen. Kinder hatten sie keine, aber ihr gemütliches Haus diente an Freitagabenden als Treffpunkt eines festen Jerusalemer Freundeskreises – Rechtsanwälte, Offiziere, Staatsbeamte, Künstler und Dozenten. Fima mochte sie beide, weil sowohl Uri als Nina ihn, jeder auf seine Weise, unter ihre Fittiche nahmen. Er hatte unterschiedslos jeden gern, der ihn ertragen konnte. Sein Herz gehörte dem Grüppchen guter Freunde, die weiterhin an ihn glaubten, ihn entsprechend anzutreiben suchten und dauernd die Vergeudung seiner Begabungen beklagten.
Auf Anrichte, Kaminsims, Bücherregal standen Fotos von Uri Gefen mit oder ohne Uniform. Er war ein großer, breiter, lauter Mann voll rauher Kumpelhaftigkeit, der bei Frauen, Kindern und sogar Männern das Verlangen nach Körperkontakt mit ihm weckte. In seinem Äußeren erinnerte er ein wenig an den Schauspieler Anthony Quinn. Auf Schritt und Trittverbreitete er herzliche Rauhbeinigkeit. Wenn er redete, faßte er seine Gesprächspartner, gleich ob Männlein oder Weiblein, gern an, klatschte ihnen auf den Bauch, packte sie an den Schultern oder legte ihnen eine wildgesprenkelte Riesenpranke aufs Knie. In Hochstimmung war er fähig, seinem Publikum vor Lachen die Tränen in die Augen zu treiben, indem er in den Tonfall eines Marktschreiers auf dem Machane-Jehuda-Markt verfiel, Abba Eban als Redner im Übergangslager Bet-Lid verkörperte oder mal nebenbei den Einfluß von Fimas Artikeln auf Camus’ Erzählungen analysierte. Und manchmal begann er auch im Freundeskreis, in Anwesenheit seiner Frau, offenherzig seine Erfolge beim weiblichen Geschlecht zu schildern. Fröhlich und taktvoll, ohne sich über seine Bettpartnerinnen lustig zu machen, ihre Identität preiszugeben oder herumzuprahlen, erzählte er den Ablauf der Liebesgeschichten mit wehmütigem Humor – als ein Mensch, der längst erfahren hat, wie sehr Liebe und Lächerlichkeit stets miteinander verquickt sind. Wie weit Verführer und Verführte einem festen Ritual folgen. Wie kindisch und sinnlos sein unermüdlicher Eroberungsdrang war und wie gering dabei der Anteil körperlicher Begierde. Wie stark Lügen, Posen und Einstellungen auch in echte Liebe eingeflochten sind. Und wie die
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