Der dritte Zustand
angefangenen Spruch zu Ende: »Ihr seid amerikanische Staatsbürger, könnt jederzeit mit Düsenantrieb hier abhauen, aber was wird mit uns? Gut. Ich geh’ Nachrichten schauen. Werd’ dich nicht mehr stören. Bloß hab’ ich keine Ahnung, wie man euern Fernseher anschaltet.«
Statt ins Wohnzimmer zu gehen, betrat er das Zimmer des Jungen.
Augenblicklich befiel ihn große Müdigkeit. Und da er den Lichtschalter nicht fand, warf er sich im Dunkeln voll bekleidet auf das von schemenhaftenRobotern, Flugzeugen und Zeitmaschinen umgebene kleine Bett, über dem, mit unsichtbaren Fäden an der Decke befestigt, eine riesige, in Neonfarben glitzernde Raumrakete schwebte, die Spitze genau auf Fimas Kopf gerichtet und durch einen leichten Luftzug in langsame, drohende Kreisbewegungen versetzt, wie ein Urteil verkündender Finger. Bis Fima die Augen zumachte und sich unvermittelt sagte, wozu denn reden und reden, es ist alles verloren, und das Geschehene läßt sich nicht trennen. Damit überkam ihn der Schlaf. Als er beinah eingedämmert war, spürte er verschwommen, daß Teddy eine kuschelige Wolldecke über ihn breitete. In seiner Benommenheit murmelte er: »Soll ich dir die Wahrheit sagen, Teddy? Nur zwischen uns? Die Araber haben offenbar schon begriffen, daß man uns nicht ins Meer jagen kann. Bleibt bloß das Problem, daß die Juden schlecht ohne jemanden leben können, der sie ins Meer jagen möchte.«
»Ja«, erwiderte Ted leise. »Die Lage ist gar nicht so gut.« Und ging hinaus.
Fima wickelte sich in die Decke, zog sich in sich selbst zurück und wollte noch bitten, man solle ihn wecken, sobald Jael da war. Doch vor lauter Müdigkeit entschlüpfte ihm der Satz: »Weck Jael nicht auf.«
Rund zwanzig Minuten schlief er. Erst als jenseits der Wand das Telefon klingelte, wachte er auf, streckte die Hand aus und kippte Dimmis Legoturm um. Dann versuchte er die Decke zusammenzufalten, gab es aber gleich wieder auf, weil er es eilig hatte, Ted zu finden: Er mußte ja immer noch erklären, was ihn heute abend hergeführt hatte. Statt ins Arbeitszimmer geriet er ins Schlafzimmer, in dem ein Nachtlämpchen mit warmem rötlichen Licht brannte. Er sah, daß das breite Bett bereits zum Schlafen aufgeschlagen war – zwei gleiche Kissen, zwei blaue Wolldecken in seidigen Laken, zwei Nachtschränke, auf dem je ein aufgeschlagenes Buch, Textseite nach unten, lag –, und vergrub das Gesicht, ja den ganzen Kopf in Jaels Nachthemd. Doch gleich schüttelte er es ab und rannte seine Jacke suchen. Mit mondwandlerischer Gründlichkeit durchkämmte er sämtliche Räume der Wohnung, fand aber weder Ted noch Jacke, obwohl er getreulich jedem Licht nachging. Schließlich sank er auf einen Schemel in der Küche und suchte mit den Augen die Messer, für die er vorher nicht den richtigen Platz gefunden hatte.
Ted Tobias kam, das Lineal in der Hand, aus dem Dunkel und sagte langsam unter deutlicher Betonung jedes einzelnen Wortes wie ein Militärfunker:»Du hast ein bißchen geschlafen. Zeichen, daß du müde warst. Ich kann dir deinen Kaffee in der Mikrowelle aufwärmen.«
»Nicht nötig«, sagte Fima, »danke. Ich lauf, weil ich sonst zu spät komme.«
»Ah. Zu spät. Wohin zu spät?«
»Bin verabredet«, sagte Fima zu seiner eigenen Überraschung in einem Ton von Mann zu Mann, »hab’ völlig vergessen, daß ich heute abend noch verabredet bin.« Mit diesen Worten drehte er sich zur Wohnungstür und begann mit dem Schloß zu ringen, bis Ted sich seiner erbarmte, ihm die Jacke reichte, das Schloß aufsperrte und mit leiser Stimme, aus der Fima leichte Trauer heraushörte, bemerkte: »Sieh mal, Fima, it’s none of my business , aber ich glaube – du brauchst ein bißchen Urlaub. Dein Zustand ist ein bißchen unten. Was soll ich Jael ausrichten?«
Fima steckte den linken Arm durch das Loch im Ärmelfutter statt in den Ärmel selber und kapierte absolut nicht, wieso sich die Tunnelröhre in eine Sackgasse verwandelt hatte. Augenblicklich kochte er vor Wut, als habe Ted ihm das Jackeninnere durcheinandergebracht, und quetschte durch die Zähne: »Du brauchst ihr gar nichts auszurichten. Ich habe ihr nichts zu sagen. Bin ja überhaupt nicht ihretwegen gekommen. Sondern um mit dir zu reden, Ted. Bloß daß du so ein Bock bist.«
Ted Tobias war nicht beleidigt, hatte das letzte Wort wahrscheinlich gar nicht verstanden. Dafür antwortete er vorsichtig auf englisch: »Vielleicht bestell’ ich dir besser ein Taxi?«
Fima, sofort von
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