Der dritte Zustand
sich – die brennende Zigarette schräg im Mundwinkel hängend, als sei sie an der Unterlippe festgeklebt – auf Schränke, Kühlschrank, Marmorplatte und Fliesen. In einer halben Stunde vermochte sie Kalkutta in Zürich zu verwandeln. Im Verlauf des Gefechts lehnte Fima, überflüssig und voll guten Willens, an der Küchentür und polemisierte mit ihr und mit sich selber über den Zusammenbruch des Kommunismus oder die Gegner der Chomskyschen Sprachtheorie. Sobald sie gegangen war, mischten sich Scham, Sympathie, Sehnsucht und Dankbarkeit bei ihm, so daß er ihr tränenden Auges nachlaufen und »danke, Liebling« oder »ich bin dieser Gunst gar nicht würdig« hätte sagen mögen, hielt aber an sich und riß sogar eilig sämtliche Fenster auf, um den Zigarettenrauch zu vertreiben, der die Küche vernebelte. Und es gab auch eine verschwommene Halluzination: Er lag krank im Bett, und Nina pflegte ihn. Oder umgekehrt: Nina war schwer krank, und er befeuchtete ihr die Lippen und wischte ihr den Schweiß von der Stirn.
Zehn Minuten nach seiner Ankunft aus dem Regen saß Fima schon in Uris pfiffigem Sessel, den Fima als eine »Kombination von Hängematte und Wiegenlied« bezeichnete. Nina hatte ihm dampfende, feingewürzte Erbsensuppe vorgesetzt, sein Scotchglas aufgefüllt und ihn mit Uris Sachen – Hemd, Hose und roter Pullover – eingekleidet, die ihm zwar viel zu groß, aber doch höchst bequem waren. Seine Füße steckten in Fellhausschuhen, die Uri aus Portugal mitgebracht hatte. Seine eigenen Kleider hatte sie indes zum Trocknen auf einen Stuhl vor den Kamin gehängt. Nun diskutierten sie über die neue lateinamerikanische Literatur, den magischen Realismus, in dem Nina die Fortführung Kafkas erblickte, während Fima ihn verärgert eher als eine Vulgarisierung der Traditionen Cervantes’und Lope de Vegas betrachtete und Nina prompt auf die Palme brachte, indem er behauptete, er persönlich würde auf diesen ganzen südamerikanischen Zirkus samt Feuerwerk und rosa Zuckerwatte zugunsten einer einzigen Seite Tschechow verzichten. Hundert Jahre Einsamkeit für eine Dame mit Hund.
Nina zündete sich eine neue Zigarette an und sagte: »Paradoxa. Gut. Aber was wird mit dir.« Und weiter: »Wann nimmst du dich endlich selber an der Hand. Wann hörst du auf zu fliehen.«
Fima sagte: »Mindestens zwei Anzeichen in der letzten Zeit sprechen für Schamirs langsames Begreifen der Tatsache, daß es ohne die PLO nicht geht.«
Nina schaute ihn durch ihre Brillengläser und den Zigarettenqualm hindurch an und sagte: »Manchmal denke ich, du bist ein hoffnungsloser Fall.«
Worauf Fima entgegnete: »Wir sind doch beide hoffnungslos verloren, Nina.«
Im selben Augenblick überwältigte ihn zärtliche Zuneigung zu dieser Seele, die ihm da in abgewetzten Jeans mit Männerreißverschluß und weitem Männerhemd gegenübersaß, als sei sie seine leibliche Schwester. Ihre Unschönheit und Unweiblichkeit erschienen ihm plötzlich geradezu schmerzlich weiblich und attraktiv. Ihre großen, weichen Brüste forderten ihn auf, seinen Kopf zwischen sie zu legen. Ihr kurzes graues Haar verursachte ein Kribbeln in seinen Fingerspitzen. Und er wußte genau, womit er diese gehetzte Füchsinnenmiene vertreiben und ihrem Gesicht den Ausdruck der höchsten Wonnen eines seligen kleinen Mädchens verleihen konnte. Dabei erwachte in den Tiefen von Uris Hose sein Glied. Gute Laune, Spendierfreudigkeit und Mitleid für eine Frau kündigten stets erwachende Leidenschaft an. Seine Lenden entflammten in fast schmerzender Begierde: zwei Monate hatte er nicht mehr mit einer Frau geschlafen. Der Geruch feuchter Wolle, den Jael verströmt hatte, als er ihr im dunklen Treppenhaus den Rücken küßte, mischte sich jetzt mit dem Dunst seiner hier vor dem Kamin trocknenden Kleidung. Sein Atem wurde schneller, die Lippen öffneten sich und bebten. Wie bei einem Kind. Nina sah es und sagte: »Einen Moment noch, Fima. Laß mich die Zigarette fertig rauchen. Gib mir noch ein paar Minuten.«
Aber Fima, schüchtern und brennend vor Leidenschaft und Erbarmen, hörte nicht auf sie, sondern fiel vor ihr auf die Knie und zog an ihremBein, bis sie wegrutschte und neben ihm auf dem Teppich landete. Neben den Tischbeinen begann ein unbeholfener Kampf mit seinen und ihren Kleidern. Mit Mühe konnte er noch Brille und brennende Zigarette aus der Bahn räumen, während seine Lenden sich unablässig an ihrem Schenkel rieben und er ihr Gesicht mit Küssen überschwemmte, als
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