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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Morsezeichen, und auf eine Antwort von mir wartete. Manchmal guckte er mich so an, über die Linsen seiner Lesebrille hinweg, das Kinn auf die Brust gesenkt, fast ein wenig überrascht, als sei ich ihm neu, als hätte ich mich sehr verändert, und ließ ein leises Pfeifen hören. Wenn ich ihn nicht so viele Jahre kennen würde, hätte ich noch meinen können, er wäre plötzlich in die Rolle eines Gassenjungen verfallen, der Frauen nachpfeift. Heute scheint mir, daß ich diesen Blick überhaupt nicht verstanden habe. Dann wurde die Tochter zum Wehrdienst eingezogen und vor einem Jahr – auch der Sohn: Er wurde ins Militärorchester aufgenommen. Das Haus hatte sich geleert. Meist gehen wir um halb elf schlafen. Lassen eine einzige Laterne brennen, damit sie den Garten bei Nacht ein wenig erhellt. Draußen stehen die beiden Wagen stumm unter ihrem Schutzdach. Außer zweimal pro Woche, wenn er Nachtdienst im Krankenhaus versieht und ich bis Sendeschluß vorm Fernseher hocke. In der letzten Zeit habe ich auch ein bißchen zu malen angefangen. Für mich. Ohne Ambitionen. Obwohl Jerry vorschlug, meine Bilder mal einem Fachmann zu zeigen, vielleicht seien sie was wert. Ich sagte: Ob sie nun was wert sind oder nicht – darum geht’s mir nicht. Jerry sagte: Asoi. Und dann hat’s mich erwischt. Einmal, an einem Samstagmorgen vor eineinhalb Monaten – hätte ich mir damals bloß auf die Zunge gebissen und geschwiegen – habe ich zu ihm gesagt: Jerry, wenn so das Alter aussieht, was macht’s uns dann aus zu altern? Was soll bei uns dennschlecht sein? Und da springt er plötzlich auf und postiert sich mit dem Gesicht zu Jossei Bergers Schmetterlingsfressern an der Wand – vielleicht kennen Sie das Bild, eine Reproduktion, die er mir mal zum Geburtstag geschenkt hat –, steht so nervös angespannt da, läßt einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen durch, als habe er diesen Moment auf dem Bild einen Strich entdeckt, der vorher nicht drauf war oder den er bisher nicht bemerkt hatte, und sagt: Red du lieber nur für dich selber. Denn ich denk’ noch nicht mal im Traum ans Altern. Und da lag so was in seiner Stimme, in der Haltung seines Rückens, der sich plötzlich gewissermaßen verhärtete und krümmte wie der Buckel einer Hyäne, und dann dieser rote Nacken, ich hatte noch nie gemerkt, wie rot sein Nacken war, irgendwas ließ mich vor lauter Angst im Sessel zusammenschrumpfen. Ist was passiert, Jerry? Das ist so, sagte er, es tut mir sehr leid, aber ich muß weg. Kann nicht mehr. Muß einfach. Versteh doch. Sechsundzwanzig Jahre tanze ich wie ein dressierter Bär nach deiner Flöte, und nun möchte ich mal ein bißchen nach meiner eigenen Flöte tanzen. Ich hab’ schon ein Zimmer. Zur Miete. Hab’ alles geregelt. Abgesehen von meiner Kleidung, meinen Büchern und dem Hund nehme ich nichts von hier mit. Versteh bitte: Mir bleibt keine Wahl. Die Lügen stehen mir schon bis hier. Damit dreht er sich um und geht und kommt aus seinem Arbeitszimmer mit zwei Koffern zurück, die er anscheinend noch nachts gepackt hatte, und wendet sich zur Tür. Aber was hab’ ich denn getan, Jerry? Du mußt verstehen, sagt er, es geht nicht um dich. Es geht um sie. Sie kann die Lügerei nicht mehr aushalten, kann mich nicht länger als dein Fußabtreter sehen. Und ich kann nicht ohne sie sein. Ich würde dir raten, sagt er von der Tür, die Dinge nicht zu erschweren, Annette. Daß du keine Szenen machst. So ist es auch leichter für die Kinder. Als sei ich umgekommen. Versteh, ich ersticke. Und mit diesen Worten pocht er leicht an den Türrahmen, pfeift dann dem Hund, startet seinen Peugeot und entschwindet. All das hat vielleicht kaum eine Viertelstunde gedauert. Als er am nächsten Tag anrief, hab’ ich sofort aufgelegt. Nach zwei Tagen hat er wieder angerufen, und ich wollte erneut auflegen, hatte aber schon nicht mehr die Kraft. Statt den Hörer runterzuknallen, habe ich ihn angefleht, komm zurück, und ich versprech’ dir, besser zu sein. Sag mir nur, was ich falsch gemacht habe, und ich tu’s nicht wieder. Doch er erklärt in seinem Arztton, als sei ich irgendeine hysterische Patientin, ständig wiederholend: Versteh. Es ist alles vorbei. Ich weine jetzt nicht vor Wut, Efraim, bloß vor Schmach. Vor Demütigung.Vor zwei Wochen schickt er mir so einen kleinen Rechtsanwalt, furchtbar höflich, offenbar persischer Abstammung, der sich prompt in Jerrys Sessel setzt, so daß ich mich fast wundere, wieso er weder auf die Lehne pocht

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