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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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noch durch die Zähne pfeift, und mir da zu erklären anfängt: Sehen Sie, Frau Tadmor, Sie bekommen von ihm mindestens das Doppelte von dem, was Ihnen jedes Rabbinats- oder Zivilgericht auch nur im Traum zugesprochen hätte. Am besten, Sie gehen blitzschnell auf unser Angebot ein, denn ehrlich gesagt habe ich in meiner ganzen Praxis noch keinen Menschen gesehen, der gleich vom ersten Moment an bereit ist, so das gesamte Gemeinschaftsgut hinzugeben. Nicht eingeschlossen der Peugeot und der Bungalow in Elat natürlich. Aber alles andere – ist Ihrs, trotz all dem Leid, das Sie ihm zugefügt haben, womit er prompt vor Gericht seelische Grausamkeit geltend machen und Ihnen alles wegnehmen könnte. Und ich flehe doch, als hörte ich gar nicht, diesen Lackaffen an, er solle mir nur sagen, wo mein Mann sei, solle mich ihn treffen lassen, mir wenigstens seine Telefonnummer geben. Aber der fängt an mir zu erklären, warum das im gegenwärtigen Stadium besser nicht geschehe, zum Wohl aller Beteiligten, zumal mein Mann heute nacht sowieso mit seiner Bekannten für zwei Monate nach Italien abreise. Nur noch einen Wodka, Efraim. Mehr trink’ ich nicht. Das versprech’ ich. Sogar die Zigaretten sind mir ausgegangen. Ich weine jetzt Ihret-, nicht seinetwegen, weil ich dran denken muß, wie wunderbar Sie gestern in der Praxis zu mir waren. Und jetzt sagen Sie mir bitte nur, ich sollte mich beruhigen, erklären Sie mir, solche Dinge geschähen in Israel wohl durchschnittlich alle neun Minuten oder so. Achten Sie nicht auf die Tränen. Mir wird’s gerade ein bißchen leichter. Seit ich gestern aus der Praxis zurückkam, hab’ ich mich unaufhörlich gefragt, wird er nun anrufen oder nicht? Ich hatte ein Gefühl, daß ja. Fürchtete mich aber zu hoffen. Sind Sie auch geschieden? Hatten Sie mir nicht erzählt, Sie seien zweimal verheiratet gewesen? Warum haben Sie die beiden ausrangiert? Möchten Sie erzählen?«
    »Ich habe sie nicht ausrangiert«, sagte Fima. »Genau umgekehrt.«
    »Erzählen Sie trotzdem«, meinte Annette. »Aber ein andermal. Nicht heute. Heute bin ich nicht aufnahmefähig. Sie müssen mir jetzt nur die volle Wahrheit sagen: Bin ich langweilig? Egoistisch? Autistisch? Abstoßend? Finden Sie meinen Körper abstoßend?«
    »Im Gegenteil«, erwiderte Fima. »Ich meine vielmehr, ich sei nicht gut genug für Sie. Trotzdem spüre ich, daß wir gewissermaßen beide im selbenBoot sitzen. Aber schauen Sie, Annette: Plötzlich ist es draußen aufgeklart. Diese schönen Wintertage in Jerusalem, dieses Licht zwischen den Regenschauern, als singe der Himmel. Vielleicht gehen wir ein bißchen? Einfach so spazieren? Jetzt ist es schon halb fünf, und bald wird’s dunkel. Wenn ich Mut hätte, würde ich Ihnen auf der Stelle sagen, daß Sie eine schöne, attraktive Frau sind. Verstehen Sie mich nicht falsch. Gehen wir? Einfach ein wenig bummeln und schauen, wie das Licht abnimmt? Wird’s Ihnen nicht zu kalt?«
    »Danke. Ich habe Ihnen schon Stunden geraubt. Aber eigentlich doch. Gehen wir also spazieren. Wenn Sie nicht etwas vorhaben. Es ist schön, wie Sie das ausgedrückt haben, daß der Himmel singt. Alles, was Sie mir sagen, klingt schön. Nur versprechen Sie mir, daß Sie nichts von mir erwarten, damit Sie nicht enttäuscht werden. Verstehen Sie: Ich bin nicht fähig. Unwichtig. Ich hätte es nicht sagen sollen. Verzeihung. Gehen wir und reden weiter.«
    Später, am Abend, voll reuiger Verlegenheit, weil er die dreckige Bettwäsche nicht gewechselt hatte, und beschämt, weil er ihr außer Rührei, einer einzigen überweichen Tomate und dem Likör seines Vaters nichts hatte anbieten können, nahm Fima ihr mit behutsamen, galanten Händen die Oberbekleidung ab. Wie ein Vater, der seine kranke Tochter ins Bett bringt. Reichte ihr einen ausgeblichenen Flanellschlafanzug, den er aus dem Schrank geholt, zögernd beschnuppert, aber mangels eines anderen doch genommen hatte. Deckte sie mit seiner Decke zu und kniete auf dem kalten Boden vor ihr, um sich für den schwachen Ofen und die hügelige Matratze zu entschuldigen. Dann führte er die Hand an ihr Gesicht, und ihre Lippen berührten einen Augenblick seinen Handrücken. Das vergalt er ihr überschwenglich, küßte sie auf Stirn, Brauen und Kinn – an die Lippen traute er sich nicht heran – und strich ihr mit der Hand über das lange Haar. Beim Streicheln flüsterte er ihr zu, weine ruhig, macht nichts, das darfst du. Als sie schluchzte, wegen der Heulerei sei ihr Gesicht

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