Der dritte Zustand
»Zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich mich wohl. Obwohl Sie fast kein Wort sagen und nur verständnisvoll zuhören. Als die Kinder ein bißchen größer sind, ermutigt mich Jerry, eine Halbtagsstelle bei der Jerusalemer Stadtverwaltunganzunehmen. Wir fangen an zu sparen. Wechseln das Auto. Träumen davon, uns ein Eigenheim mit Ziegeldach und Garten in Mewasseret Jeruschalaim zu bauen. Setzen uns manchmal abends, nachdem die Kinder eingeschlafen sind, zusammen, gucken amerikanische Wohnmagazine an, zeichnen alle möglichen Grundrisse. Manchmal klopft er mit dem Finger auf diese Planskizzen, als prüfe er die Härte des Materials. Beide Kinder zeigen musikalische Begabung, und wir beschließen einstimmig, das nötige Geld für Musikstunden, Privatlehrer und Konservatorium aufzuwenden. Verbringen zu viert den Sommerurlaub in Naharia am Strand. Zu Chanukka fahren wir zwei allein, ohne Kinder, mieten uns einen Bungalow in Elat. Vor zehn Jahren haben wir die Wohnung seiner Eltern verkauft und diesen Bungalow erworben. Samstagabend versammeln sich drei, vier befreundete Paare bei uns. Scheuen Sie sich nicht, mich zu unterbrechen, wenn Sie das Zuhören leid sind, Efraim. Vielleicht gehe ich zu sehr ins einzelne? Dann wird dieser Zuverlässige zum stellvertretenden Stationsarzt ernannt. Empfängt Privatpatienten, zu Hause. So daß der Traum vom Häuschen mit Garten in Mewasseret Jeruschalaim langsam real wird. Wir beide verwandeln uns in Experten für Marmor, Fliesen und Ziegeln, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. All diese Jahre fällt, abgesehen von nichtigen Streitigkeiten, kein Schatten zwischen uns. Oder so schien es mir. Jeder Streit endet mit gegenseitigen Entschuldigungen. Er bittet um Verzeihung, und ich bitte um Verzeihung, und er zischt: Asoi. Dann wechseln wir gemeinsam die Bettwäsche oder machen Salat fürs Abendessen.«
Fünftausend Mann, dachte Fima, fünftausend von uns, die sich einfach weigern würden, Reservedienst in den Gebieten zu leisten – das wäre genug. Das ganze Besatzungsregime würde zusammenbrechen. Aber genau diese fünftausend werden zu Experten für Dachziegel. Diese Aasheinis haben, aus ihrer Sicht, recht, wenn sie sagen, sie brauchten nur Zeit zu gewinnen. Am Ende ihrer Geschichte geht sie mit mir ins Bett. So bereitet sie sich darauf vor.
»Einige Winter hindurch«, fuhr Annette fort, wobei ihr ein bitterer, sarkastischer Zug um die Mundwinkel spielte, als habe sie seine Gedanken gelesen, »vielleicht zwei oder drei Winter verbringt er eine Nacht pro Woche in Beer Scheva, weil er dort für irgendeinen Kurs an die medizinische Fakultät berufen worden ist. Der Gedanke, es gebe andere Frauen in seinem Leben, ist mir nie gekommen. Das schien mir einfach nicht zu ihm zu passen. Besonders, da sogar das, was er für den Hausgebrauch hatte,über die Jahre ein wenig nachließ, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Also er und Liebchen – nee. Genau wie ich mir zum Beispiel nicht hätte vorstellen können, daß er ein syrischer Spion sein könnte: geht einfach nicht. Ich wußte alles über ihn. So glaubte ich jedenfalls. Und akzeptierte ihn, wie er war, einschließlich der leisen Verachtungspfiffe, die er manchmal durch die Lücke zwischen den beiden Schneidezähnen hervorpreßte, hatte mir schon eingeredet, das seien nicht direkt Pfiffe und gewiß keine verächtlichen. Andererseits – ich schäme mich, Ihnen das zu erzählen, aber ich möchte nun mal alles auspacken – bin ich im Sommer vor acht Jahren drei Wochen bei einer Cousine in Amsterdam zu Besuch gewesen und da doch für ein paar irrsinnige Tage einem schwachköpfigen blonden Sicherheitsbeamten der Botschaft in die Arme getaumelt. Beinah zwanzig Jahre jünger als ich. Ein Typ, der sich sehr schnell als narzißtischer Idiot entpuppte. Ziemlich viehisch im Bett, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Vielleicht wird es Sie amüsieren, daß jemand ihm in den Kopf gesetzt hatte, Frauen würden erregt, wen man ihnen den Bauch mit Honig vollschmiert. Stellen Sie sich das bloß vor. Kurz gesagt – ein verdrehter Junge, sonst nichts. War den kleinen Fingernagel meines guten Mannes nicht wert.«
Aus eigenem Antrieb bestellte Fima noch einen Wodka und – seinem Hunger nachgebend – ein weiteres Käsebrot. Das letzte. Dabei nahm er sich vor: geduldig und feinfühlend sein. Nicht über sie herfallen. Die Politik aus dem Spiel lassen. Mit ihr nur über Poesie und die Einsamkeit im allgemeinen sprechen. Und vor allem Geduld
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