Der dritte Zustand
daß er sich vergessen habe – kannst du mir verzeihen?
Sie zog sich schnell an, mit harten Bewegungen wie eine wutschnaubende alte Frau, den Rücken ihm zugekehrt, kämmte sich mit brutalen Kammstrichen, die Tränen waren inzwischen getrocknet, zündete eine neue Zigarette an und befahl Fima, ihr ein Taxi zu bestellen und nie wieder anzurufen. Als er sie die Treppe hinab begleiten wollte, sagte sie mit kalter, flacher Stimme: »Das ist überflüssig. Schalom.«
Fima ging unter die Dusche. Obwohl aus dem warmen Hahn nur ein lauwarmer, fast schon kalter Strahl kam, brachte er genug Willenskraft auf, sich zu duschen, einzuseifen und lange abzubrausen. Unter den dreien ist der wahre Schurke doch Rechtsanwalt Prag, grübelte er. Dann zog er saubere Wäsche an und wechselte danach im Sturm die ganze Bettwäsche, sämtliche Handtücher, das Küchentuch und sein Hemd und stopfte alles in einen Plastiksack, den er neben die Wohnungstür stellte, damit er nicht etwa vergaß, ihn morgen früh zur Wäscherei zu bringen. Während er sein Bett frisch bezog, versuchte er zwischen den beiden Schneidezähnen hindurch zu pfeifen, brachte es aber nicht fertig. Wir sitzen alle im selben Boot, hatte der schöne Siedler gesagt, und Fima fand zu seiner Verblüffung, daß er in gewisser Hinsicht recht hatte.
11.
Bis zur letzten Laterne
Nachdem er den Wäschesack abgestellt hatte, ging er in die Küche, um Annettes Zigarettenkippen zu beseitigen. Als er die Tür der Abfallecke unter dem Spülstein aufmachte, sah er den Kakerlak, Trotzki, vor dem überquellenden Mülleimer tot auf dem Rücken liegen. Was hatte seinen Tod ausgelöst? Eine Gewalttat war auszuschließen. Und gewiß stirbt man in meiner Küche nicht des Hungers. Fima dachte ein wenig darüber nach, fand, daß Schmetterling und Kakerlak sich nur in der Form unterschieden und dies sicherlich keinen ausreichenden Grund dafür bildete, daß die Schmetterlinge für uns Freiheit, Schönheit und Reinheit symbolisieren, während der Kakerlak als Verkörperung des Ekels gilt. Was war also die Todesursache? Fima erinnerte sich, daß morgens, als er den Schuh gegen Trotzki erhoben, aber wieder davon abgelassen hatte, dieses Geschöpf überhaupt nicht versucht hatte, seinem Schicksal zu entfliehen. Vielleicht war er da schon krank, und ich bin ihm nicht zu Hilfe gekommen.
Fima ging in die Hocke, schob den Kakerlak behutsam in ein trichterförmig gerolltes Stück Zeitung und warf ihn nicht etwa in den Mülleimer, sondern bereitete ihm ein Grab in der Erde des Blumentopfs auf der Fensterbank, in dem schon lange nichts mehr wuchs. Nach der Beisetzung stürzte er sich auf den Geschirrstapel im Ausguß, spülte Teller und Tassen. Als er bei der Pfanne angelangt war, mußte er altes Bratfett herunterscheuern, ermüdete dabei und entschied, die Pfanne solle, gemeinsam mit dem übrigen Geschirr, gefälligst bis morgen warten. Ein Glas Tee konnte er sich nicht machen, weil der Kessel heute vormittag, während er selber noch über die Tiefen der Evolution brütete und einen gemeinsamen Nenner suchte, ausgebrannt war. Er ging pinkeln, wurde aber mittendrin ungeduldig und drückte die Spülung, um seine stotternde Blase anzutreiben. Auch diesmal verlor er das Rennen, wollte jedoch nicht warten, bis der Behälter wieder vollgelaufen war, trat also den Rückzug an und löschte beim Hinausgehen das Licht. Man muß versuchen, Zeit zu gewinnen, sagte er sich. Und fügte hinzu: Wenn du verstehst, was ich damit meine.
Kurz vor Mitternacht zog er den Flanellschlafanzug an, den Annette auf den Teppich geworfen hatte, ging ins Bett, genoß wohlig die sauberen Bezüge und begann Zwicka Kropotkins Artikel im Ha’arez zu lesen. Der Beitragerschien ihm gelehrt und grau wie Zwicka selber, aber er hoffte, dadurch leichter in den Schlaf zu kommen. Als er das Licht ausknipste, fiel ihm der kindlich sanfte Begeisterungsschrei ein, der Annettes Kehle entschlüpft war, als ihre Lenden sich um seinen Finger preßten. Wieder stieg die Begierde in ihm auf und damit auch die Gekränktheit und das Gefühl, daß ihm Unrecht widerfahren sei: Fast zwei Monate waren vergangen, ohne daß er mit einer Frau geschlafen hätte, und nun hatte er gestern und heute abend zwei Frauen verpaßt, obwohl er sie wahrlich schon in den Armen hielt. Wegen deren Egoismus würde er jetzt nicht einschlafen können. Einen Augenblick rechtfertigte er Jerry, Dr. Tadmor, der Annette verlassen hatte, weil er vor lauter Lügen zu ersticken drohte.
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