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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Ersparnisse und die Zuschüsse der Eltern zusammen, kaufen eine kleine Wohnung in Givat Scha’ul, Möbel, Kühlschrank, Herd, suchen gemeinsam Gardinen aus. Ohne Meinungsverschiedenheiten. Alles in Ehren und Freundschaft. Er gibt mir einfach gern nach, oder so meinte ich damals. Freundschaft ist das passende Wort: Wir beide bemühen uns, die ganze Zeit gut zu sein. Fair. Wetteifern in Rücksichtnahme. Dann wird die Tochter geboren und zwei Jahre später – der Sohn. Jerry ist natürlich ein vernünftiger, hingebungsvoller Vater. Konsequent. Beständig. Das richtige Wort ist: zuverlässig. Ein Ehemann, der bereitwillig Windeln wäscht, Fliegengitter saubermachen kann und aus Büchern lernt, wie man eine Mahlzeit zubereitet und Topfpflanzen pflegt. Führt die Kinder zu Vergnügungen in die Stadt, soweit es seine Arbeit zuläßt. Wird im Lauf der Zeit sogar etwas besser im Bett. Begreift langsam, daß ich nicht aus Porzellan bin, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Weiß manchmal was Lustiges am Eßtisch zu erzählen. Allerdings beginnt er hier und da Eigenheiten zu entwickeln, die mich zuweilen ziemlich nervös machen. Kleine, unschädliche, aber sehr hartnäckige Angewohnheiten. Zum Beispiel mit dem Finger auf Gegenstände klopfen. Nicht wie der Arzt einem Kranken die Brust abklopft, sondern als poche er an eine Tür. Sitzt, in die Zeitung vertieft, auf dem Sessel und klopft unwissentlich pausenlos auf die Lehne. Als wünsche er, man möge ihm öffnen. Schließt sich im Bad ein, planscht eine halbe Stunde im Wasser und hört nicht auf an die Kacheln zu pochen, als suche er dahinter ein Geheimfach mit einem Schatz. Oder seine Angewohnheit, häufig ›asoi‹ zu sagen, statt Antwort zu geben, wenn man mit ihm spricht. Ich sage ihm, ich hätte einen Fehler in der Stromrechnung gefunden, und er sagt: Asoi. Die Kleine erzählt ihm, die Puppe sei böse mit ihr, und er äußert grinsend: Asoi. Ich mische mich ein und sage, vielleicht hörst du mal deinen Kindern zu, und auch darauf erwidert er: Asoi. Und die Angewohnheit, manchmal durch die Lücke zwischen den beiden Vorderzähneneinen leisen, verächtlichen Pfiff auszustoßen, der eigentlich vielleicht weder Pfiff noch verächtlich, sondern nur ein Atemzug bei geöffneten Lippen ist. Sooft ich ihm auch sage, daß dieses Pfeifen mich wahnsinnig macht – er kann’s nicht aufgeben, merkt offenbar gar nicht, daß er schon wieder gepfiffen hat. Aber letzten Endes sind das ja kleine Unannehmlichkeiten, mit denen sich leben läßt. Es gibt auf der Welt Ehemänner, die ewig besoffen, faul, untreu, grausam, abartig oder geisteskrank sind, und außerdem haben sich womöglich auch bei mir alle möglichen Gewohnheiten eingestellt, die ihm nicht gefallen, und er beherrscht sich und schweigt. Es hat keinen Sinn, großen Aufruhr um sein Pfeifen und Geklopfe zu machen, die er, dafür spricht einiges, vermutlich gar nicht unter Kontrolle hat. So vergehen die Jahre. Wir schließen einen Balkon, machen eine Europareise, kaufen ein kleines Auto, wechseln die ersten Möbel gegen neue aus. Und ziehen auch einen Schäferhund groß. Bringen seine und meine Eltern in einem privaten Altersheim unter. Jerry steuert seinen Teil bei, bemüht sich, mir Freude zu machen, ist zufrieden über das gemeinsam Erreichte. Oder so schien es mir. Und macht weiter mit seinem Pfeifen, Klopfen und gelegentlichen Asoisagen.«
    Fima sinnierte: Panzer umstellen das Knessetgebäude, Fallschirmjäger dringen in die Sendeanstalt ein, ein Obristenputsch – nein, den wird’s hier nicht geben. Hier kommt es nur zu einer schleichenden Unterwanderung. Jeden Tag einen Zentimeter weiter. Die Leute werden’s gar nicht merken, wie die Lichter ausgehen. Weil sie nicht ausgeknipst werden. Sondern langsam verlöschen. Entweder tun wir uns endlich zusammen und lösen selbst eine tiefe nationale Krise aus – oder es gibt keinen definitiven Krisenpunkt. Laut sagte er: »Sie schildern es so präzise, daß ich es vor mir sehe.«
    »Langweile ich Sie nicht? Seien Sie nicht böse, daß ich schon wieder rauche. Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Wegen der Tränen sehe ich sicher wie ein Schreckgespenst aus. Seien Sie so gut und schaun mich nicht an.«
    »Im Gegenteil«, sagte Fima, und nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Auch Ihre Ohrringe sind hübsch. Ausgefallen. Wie zwei Glühwürmchen. Nicht, daß ich eine Ahnung hätte, wie ein Glühwürmchen aussieht.«
    »Es tut gut, mit Ihnen zusammenzusein«, sagte Annette.

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