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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Dann werde ich eben trotzdem versuchen, einen koscheren jüdischen Anstreicher für dich zu finden. Ohne jeden Verdacht kolonialistischer Ausbeutung. Wenn denn ein solcher Zaddik in unserem Staat übriggeblieben ist.«
    »Haargenau!« jubelte Fima in stürmischer Siegesfreude. »In diesem ganzen armseligen Staat ist schon kein einziger jüdischer Maurer mehr aufzutreiben. Kein einziger Krankenpfleger. Kein Gärtner. Genau das haben eure Gebiete aus dem zionistischen Traum gemacht! Die Araber bauen für uns das Land auf, und wir sitzen da und delektieren uns an Leviatan und Wildstier. Und bringen sie dazu noch tagtäglich um, sie und ihre Kinder, bloß weil sie es wagen, nicht glücklich und dankbar für das große Gnadengeschenk zu sein, die Kanalisation des auserwählten Volkes reinigen zu dürfen, bis der Messias da ist!«
    »Der Messias«, sinnierte Baruch traurig, »vielleicht weilt er schon unter uns. Manche sagen so. Und nur wegen prächtiger Burschen wie dir hält er sich noch verborgen. Man erzählt von Rabbi Uri von Strelisk, dem heiligen Seraph, dem Großvater von Uri Zwi Greenberg, er habe sich einmal im Wald verirrt –«
    »Soll er doch!« fuhr Fima dazwischen. »Soll er sich so verlaufen, daß man ihn nicht wiederfindet! Weder ihn noch seinen Enkel! Und den Messias nebst seinem Esel desgleichen!«
    Der alte Mann hustete, räusperte sich lange wie ein greiser Schulmeister, der eine Rede halten will, aber an Stelle einer Ansprache fragte er Fima betrübt: »Spricht so der Humanismus? Ist das die Stimme der Friedensuchenden? Der Freund aller Menschheit hofft, sein Nächster möge im Wald verlorengehen? Der Beschützer des Islam wünscht sich, daß heilige Juden sterben?«
    Fima wurde einen Moment verlegen. Bereute von Herzen, den im Walde Irrenden Unheil gewünscht zu haben. Aber gleich hatte er sich wieder gefangen und holte zu einem überraschenden Flankenangriff aus: »Hör mal, Baruch. Paß gut auf. Apropos Beschützer des Islam. Ich möchte dir Wort für Wort vorlesen, was hier im Lexikon über Indien steht.«
    »Ahasver, der von Indien bis Kusch über hundertsiebenundzwanzig Provinzen herrschte«, kicherte der Alte, »aber was hat das Schabbatjahr mit dem Berg Sinai zu tun? Und was das hier mit Indien? Der Dybbuk, der in euch gefahren ist, Fimotschka, ist keineswegs ein indischer, sondern vielmehr ein rein europäischer Dämon. Ein großes Unheil ist uns geschehen, daß wertvolle junge Menschen wie du auf einmal beschlossen haben, die gesamte jüdische Überlieferung für das Linsengericht eines falschen europäischen Pazifismus zu verscherbeln. Sie wollen Jesus sein. Wollen den Christen höchstpersönlich eine Lektion im Hinhalten der anderen Wange erteilen. Lieben unsere Hasser und hassen Uri Zwi, ja sogar den heiligen Seraph. Dabei haben wir die berühmte europäische Menschlichkeit doch schon aus nächster Nähe kennengelernt. Haben deine westliche Kultur ergiebig auf dem eigenen Buckel zu spüren bekommen. Sehr gut haben wir sie aufgesogen, von Kischinew 15 bis Oswiecjm. Ich erzähl’ dir eine eindringliche Geschichte von einem Kantor, der einmal, Gott behüte, allein auf einer einsamen Insel gelandet war, und das ausgerechnet zu den Hohen Feiertagen: Da steht nun ein einzelner Jude mitten auf der Welt, inmitten der Zeiten und grübelt –«
    »Moment mal«, brauste Fima auf, »du mit deinen grübelnden Kantoren. Indien hat mit einem arabischen Staat etwa genausoviel zu tun wie diewestliche Kultur mit Chmelnizki 16 und Hitler. Was für ein unsinniges Geschwätz! Ohne die westliche Kultur, zu Ihrer Information, gnädiger Herr, wäre nicht mal ein Wandpisser von uns übriggeblieben. Wer hat denn deines Erachtens Abermillionen Menschen geopfert, um Hitler zu besiegen? Nicht die westliche Kultur? Einschließlich Rußland? Einschließlich Amerika? Hat etwa dein Heiliger von Strelisk uns gerettet? Hat der Messias uns einen Staat gegeben? Teilt Uri Zwi geschenkweise Panzer und Düsenjäger an uns aus und überschüttet uns dazu noch jährlich mit drei Milliarden Dollar, einfach so, als Taschengeld, damit wir hier weiter rumtollen können? Merk dir eins, Vater: Jedesmal in der Geschichte, wenn die Juden den Verstand verloren und anfingen, nach messianischen Landkarten in der Welt herumzukutschieren, statt eine reale, universale Karte zu benutzen, haben Millionen von ihnen das mit dem Leben bezahlt. Und es ist uns anscheinend immer noch nicht gelungen, dem berühmten jüdischen Verstand einzutrichtern,

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