Der dritte Zustand
er habe vor dem Gespräch mit Zwicka den neuen elektrischen Wasserkessel eingeschaltet, der nun gewiß schon ausgebrannt wie sein Vorgänger sein mußte. Auf halbem Weg hielt er inne, weil das Telefon klingelte und er plötzlich zögerte, was er zuerst machen sollte. Einen Moment später hob er ab und sagte zu seinem Vater: »Eine halbe Minute, Baruch. Mir brennt was in der Küche an.«
Damit stürzte er los, fand aber den Kessel wohlbehalten und stillvergnügt auf der Marmorplatte glänzen. Es war also wieder mal Fehlalarm. Dafür hatte er beim Rennen das schwarze Transistorradio vom Regal gestoßen, das prompt in die Brüche gegangen war. Schnaufend zum Telefon zurückgekehrt, sagte er: »Alles in Ordnung. Ich höre.«
Der Alte hatte ihm nur mitteilen wollen, daß er für Fima Handwerker gefunden hatte, die nächste Woche kommen würden, um seine Wohnung neu zu streichen. Araber aus dem Dorf Abu Dis, Efraim, so daß es in deiner Sicht hundertprozentig koscher ist. Was den Alten an eine nette chassidische Anekdote erinnerte: Warum erhalten nach unserer Überlieferung die Gerechten im Paradies freie Menüwahl zwischen Leviatan und Wildstierbraten? Die Antwort lautet, daß sich immer ein pingeliger Zaddik finden wird, der im Garten Eden kein Wildstierfleisch anrühren würde, weil er nicht einmal auf die Koscherschlachtung des Ewigen höchstpersönlich vertrauen mag.
Im folgenden erläuterte er Fima, wo hier die vermeintliche und wo die wahre Pointe lag, bis Fima plötzlich meinte, durch die Telefonleitung dringe der typische Geruch seines Vaters zu ihm, ein aschkenasischer Duft, in dem sich leichter Parfümhauch mit der Ausdünstung ungelüfteter Federbetten, dem Geruch süßlich gekochten Fischs mit Karotten und dem Aroma zähflüssigen Likörs mischte. Abscheu überkam ihn, derer er sich schämte, aber auch der uralte Trieb, seinen Vater zu ärgern, alles, was ihm heilig war, anzugreifen und ihn aus dem Häuschen zu bringen.
»Hör mal, Vater«, sagte er. »Paß gut auf. Erstens, was die Araber anbetrifft. Tausendmal habe ich dir schon erklärt, daß ich sie überhaupt nicht für so große Heilige halte. Begreif endlich, daß sich die Debatte zwischen uns weder um koscher und unrein noch um Hölle und Paradies dreht. Es geht einfach um die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, Vater. Ihre und unsere.«
Baruch stimmte sofort zu: »Adraba« , sagte er gedehnt in einer Art synagogalem Singsang, »aber selbstverständlich ist auch der Araber als Ebenbild Gottes erschaffen. Das wird keiner bestreiten. Außer den Arabern selber, Fimotschka, die sich leider nicht dementsprechend wie menschliche Wesen verhalten.«
Im selben Moment vergaß Fima seinen Vorsatz, politische Debatten mit seinem Vater um jeden Preis zu vermeiden. Und begann ein für allemal stürmisch klarzustellen, daß wir uns auf keinen Fall in einen strohdummen, besoffenen ukrainischen Kutscher verwandeln dürfen, der wütend sein Pferd umbringt, weil dieses Viech nicht mehr ergeben den Wagen ziehen will. Sind die Araber in den Gebieten etwa unsere Arbeitstiere? Was habt ihr euch eigentlich gedacht? Daß sie bis in alle Ewigkeit bereit sein würden, unsere Holzfäller und Wasserträger zu sein? Den Postenvon Sklaven mit durchbohrtem Ohr zu bekleiden? Sind sie denn keine Menschen? Jedes Sambia und jedes Gambia ist heutzutage ein unabhängiger Staat, und nur die Araber in den Gebieten würden bis ans Ende aller Zeiten bei uns still Latrinen säubern, Straßen kehren, Kneipengeschirr spülen und unseren pflegebedürftigen Greisen die Kacke abwischen und auch noch danke dafür sagen? Wärst du einverstanden, wenn der allerletzte ukrainische Antisemit eine solche Zukunft über die Juden verhängen würde?
Die Wendung »Sklaven mit durchbohrtem Ohr« – oder vielleicht gerade »der allerletzte ukrainische Antisemit« – erinnerte den Alten an eine Begebenheit in einem kleinen ukrainischen Schtetl. Wie üblich zog die Geschichte eine ganze Wagenkette voller Erklärungen und Morallehren nach sich. Bis Fima vor lauter Verzweiflung brüllte, er brauche überhaupt keine Anstreicher und Baruch möge verdammt noch mal aufhören, sich dauernd in sein Leben reinzudrängen mit Subventionen, Tünche, Heiratsvermittlung, vielleicht hast du’s vergessen, Vater, ich bin zufällig schon ein Mann von vierundfünfzig Jahren.
Als er fertig war, erwiderte der Vater gemächlich: »Schön, mein Bester. Schön. Offenbar habe ich geirrt. Habe gesündigt, gefehlt und so weiter.
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