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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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wie vorher beim Singen. Die meisten bevorzugen den »Twostep«, besonders die Jungen, denn er ist gerade Mode. Die Älteren bleiben bei den heimatlichen Tänzen, seltsamen und komplizierten Schritten, die sie mit viel Feierlichkeit ausführen. Manche tanzen überhaupt nichts Bestimmtes, sondern fassen sich einfach bei den Händen und überlassen ihren Füßen den Ausdruck ungezügelter Freude an der Bewegung. So machen es auch Jokubas Szedvilas und seine Frau Lucija, die beide in ihrem Laden fast ebensoviel selber verzehren, wie sie verkaufen. Zum Tanzen zu dick, stehen sie in der Mitte des Parketts, halten einander fest in den Armen und wiegen selig lächelnd langsam hin und her, ein Bild unwilder und dennoch schweißtriefender Ekstase.
    Bei vielen dieser älteren Jahrgänge erinnern Einzelheiten ihrer Kleidung an die Heimat: bestickte Westen oder Mieder, ein farbenfrohes Halstuch, ein Rock mit breiten Ärmelaufschlägen und Trachtenknöpfen. All dergleichen wird von den Jungen peinlich gemieden; die meisten haben Englisch gelernt und gehen nach der Mode. Die Mädchen tragen Kleider oder Blusen von der Stange, und einige sehen recht schmuck aus. Manche der jungen Männer könnte man, würden sie nicht im Raum den Hut aufbehalten, glatt für Amerikaner halten, Handlungsgehilfen etwa. Jedes dieser jungen Paare hat seinen eigenen Tanzstil. Die einen schmiegen sich aneinander, andere achten betont auf Abstand. Sie strecken die Arme steif aus oder lassen sie locker hängen. Manche hüpfen wie auf Sprungfedern, andere schweben sanft dahin, wieder andere schreiten eigentlich nur. Es gibt stürmische Paare, die wild durch den Saal fegen und dabei alle aus dem Weg stoßen, und es gibt unsichere Paare, denen das angst macht und die ihnen, wenn sie vorbeirauschen, »Nustok! Kas yra?« zurufen. Die jeweiligen Partner bleiben immer zusammen – nie sieht man sie wechseln. Da ist zum Beispiel Alena Jasaityte, die endlose Stunden mit ihrem Verlobten Juozas Raczius tanzt. Alena ist die Schönheit des Abends, und schön wäre sie in der Tat, gäbe sie sich nicht so stolz. Die weiße Bluse, die sie anhat, dürfte einen halben Wochenlohn gekostet haben; Alena arbeitet als Büchsenlackiererin. Beim Tanzen hält sie vornehm mit der Hand den Rock, akkurat so wie die feinen Damen. Juozas fährt bei Durham einen Rollwagen und verdient gutes Geld; mit schrägsitzendem Hut und ständig einer Zigarette im Mundwinkel macht er auf »verwegen«. Dann ist da Jadvyga Marcinkus, ebenfalls schön, jedoch bescheiden. Jadvyga lackiert wie Alena Büchsen, aber da sie für eine kranke Mutter und drei kleine Schwestern sorgen muß, setzt sie ihren Lohn nicht in Blusen um. Sie ist klein und zierlich, und ihre Augen sind so pechschwarz wie ihre Haare, die sie oben auf dem Kopf zu einem Knoten aufgesteckt hat. Ihr weißes Kleid ist alles andere als neu. Sie hat es selber genäht und trägt es schon seit fünf Jahren zu allen Festen; die Taille sitzt zu hoch, fast unter den Armgruben, und es ist auch sonst nicht sehr vorteilhaft für sie. All das stört Jadvyga jedoch wenig – denn sie tanzt mit ihrem Mykolas. Der ist groß und stark; sie schmiegt sich in seine Arme, wie um sich vor den Blicken zu verbergen, und lehnt den Kopf an seine Schulter. Er dagegen hat die Arme fest um sie gelegt, als wolle er sie forttragen. Und so tanzt sie, wird den ganzen Abend, ja würde ewig so weitertanzen, verzückt vor Glückseligkeit. Wer die beiden sieht, dem mag ein Lächeln ankommen, wer aber ihre Geschichte kennt, der lächelt nicht. Fünf Jahre sind sie nun bereits verlobt, und Jadvyga ist das Herz schon ganz schwer. Sie hätten längst geheiratet, doch Mykolas hat einen Vater, der den lieben langen Tag trinkt, und in seiner großen Familie ist er der einzige andere Mann. Trotzdem würden sie es wohl möglich gemacht haben – immerhin ist Mykolas Facharbeiter aber er hatte ein paar schlimme Unfälle, die ihnen allen Mut nahmen. Er ist Ausbeiner, und das ist ein gefährlicher Beruf, zumal wenn man Akkord arbeitet und Geld zum Heiraten zusammenbringen will. Die Hände sind glitschig, und das Messer ist glitschig, man schuftet im Irrsinnstempo, und spricht einen dann plötzlich jemand an oder stößt man gegen einen Knochen, rutscht die Hand auf die Klinge, und man schneidet sich furchtbar. Die Wunde selbst, so klaffend sie auch sein mag, wäre nicht so schlimm; sie kann heilen, allein es besteht immer die Gefahr einer Infektion, und da weiß man nie. Zweimal hat

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