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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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nach dem andern haben diese armen Leute aufgegeben, an diesen einen jedoch klammern sie sich mit aller Kraft ihrer Seele. Nein, auf die Veselija können sie nicht verzichten! Denn das hieße nicht nur geschlagen werden, sondern sich auch geschlagen geben – und dieser feine Unterschied hält ja die Welt in Gang. Die Veselija ist ihnen aus uralten Zeiten überkommen, und sie hat den Sinn, einem deutlich zu machen, daß es sich aushalten lasse, in einer Höhle zu hausen und ins Dunkel zu starren, wenn man einmal im Leben hat seine Fesseln sprengen, seine Schwingen spüren und die Sonne sehen können, wenn man einmal im Leben erkennt, daß das Dasein mit all seinen Sorgen und Ängsten gar nichts so Gewaltiges ist, sondern bloß eine Luftblase auf dem Wasser eines Stromes, etwas, das man durch die Luft tanzen lassen kann wie ein Jongleur seine goldenen Bälle, etwas, das man in vollen Zügen genießen darf wie einen Kelch erlesenen Wein. Hat man sich so als Herr der Dinge erfahren, kann man zurückkehren in die Tretmühle und ein Leben lang von der Erinnerung zehren.
     
    Unaufhörlich drehten sich die Tanzenden im Reigen – wurde ihnen schwindlig, drehten sie sich anders herum. Viele Stunden hielt das nun schon an; es war längst dunkel geworden, und der Saal wurde durch zwei rußende Petroleumlampen spärlich erhellt. Der Musikanten feuriger Elan war mittlerweile verpufft; abgemattet spielten sie bloß immer noch ein und dieselbe Melodie. Sie bestand aus etwa zwanzig Takten, und hatten sie die heruntergestrichen, begannen sie wieder von vorn. Alle zehn Minuten oder so vergaßen sie das Neuanfangen und sanken erschöpft zurück, worauf es unweigerlich zu einer heftigen und beängstigenden Szene kam, die den auf seinem Stuhl hinter der Tür eingenickten Polizisten erschreckt hochfahren ließ.
    Es war jedesmal Marija Berczynskas. Marija gehörte zu jenen nimmersatten Seelen, die die entschwindende Muse krampfhaft am Rockzipfel festzuhalten suchen. Die wundervolle Hochstimmung, die sie den ganzen Tag erfüllt hatte, begann jetzt zu weichen, und Marija wollte sie partout nicht gehen lassen. Ihr Herz rief mit den Worten Fausts: »Verweile doch, du bist so schön!« Sie mußte sie aufhalten, um jeden Preis, ob nun mit Bier oder durch Geschrei, Musik und Tanz. So jagte sie ihr stets von neuem nach. Aber sobald sie nur halbwegs in Fahrt geriet, drosselten ihr diese schlafmützigen Musikanten auch schon den Dampf. Da stimmte Marija jedesmal ein Gebrüll an, stürzte zu ihnen hin, drohte, Zornesröte im Gesicht, mit den Fäusten und stampfte auf. Vergebens suchte der verschreckte Tamoszius sich mit dem Hinweis auf die Schwäche des Fleisches zu verteidigen, vergebens plädierte der atemlos keuchende Ponas Jokubas, vergebens flehte Teta Elzbieta. »Szalin!« belferte Marija. »Palauk! Isz kelio! Wofür werdet ihr bezahlt, ihr Trantüten?« Da hub die Kapelle aus purer Angst wieder an, und Marija kehrte zum Weitermachen an ihren Platz zurück.
    Allein sie hielt den Acziavimas jetzt noch in Gang. Ona wurde durch ihre Erregung am Ermatten gehindert, die anderen Frauen aber waren alle müde, und die meisten Männer ebenfalls, nur Marija lief noch auf vollen Touren. Sie trieb die Tanzenden an – der Kreis hatte sich inzwischen zu einer Birne verformt mit Marija als Stiel; sie zog in die eine Richtung und schob in die andere, schrie, stampfte und sang, ein wahrer Vulkan von Energie. Ab und an wehte von draußen kühle Nachtluft herein, weil jemand beim Reinkommen oder Rausgehen die Tür offengelassen hatte, und Marija knallte sie dann wieder zu, indem sie ihr im Vorbeitanzen einen Fußtritt versetzte. Einmal führte das zu einer Karambolage, deren unglückliches Opfer der kleine Sebastijonas Szedvilas wurde. Blind gegen alles ringsum, war der Dreijährige umhergelaufen, denn er hatte eine Flasche jener als »Brause« bekannten himbeerroten, eiskalten und köstlichen Flüssigkeit vorm Mund. Als er über die Schwelle kam, traf ihn die zuschlagende Tür mit voller Wucht, und das Gebrüll, in das er daraufhin ausbrach, ließ das Tanzen abrupt zum Stillstand kommen. Marija, die zwar hundertmal am Tag schreckliche Morddrohungen ausstieß, aber keiner Fliege ein Leid antun konnte, riß Sebastijonas in ihre Arme und begann, ihn unter Küssen zu ersticken. Das brachte der Kapelle eine lange Ruhepause und viel zu trinken ein, während Marija ihr Opfer versöhnte, indem sie es auf die Theke setzte, sich daneben stellte, dem Kleinen ein

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