Der Dschungel
Stangenglas Bier an die Lippen hielt und ihn vom Schaum nippen ließ.
Währenddessen fand in einer anderen Ecke eine besorgte Besprechung zwischen Teta Elzbieta, Dede Antanas und ein paar engen Freunden der Familie statt. Es zeichnete sich Verdruß ab. Die Veselija ist zwar nur eine stillschweigende, nirgendwo festgelegte Übereinkunft, aber gerade deshalb um so verbindlicher für alle. Wenn auch eines jeden Zuschuß verschieden war, so kannte doch der einzelne den von ihm erwarteten Beitrag und strengte sich an, sogar ein bißchen mehr zu geben. Jetzt aber, seit sie in dem neuen Land waren, änderte sich das alles; es schien, als atme man hier mit der Luft ein schleichendes Gift ein – dem vor allem sämtliche jungen Männer erlagen. Sie kamen in Scharen, schlugen sich den Bauch mit gutem Essen voll und machten sich hinterher einfach aus dem Staub. Beispielsweise warf einer den Hut eines anderen zum Fenster hinaus, und dann gingen beide raus, ihn zu holen – und wurden nie wiedergesehen. Oder es rottete sich ein halbes Dutzend zusammen und marschierte ganz offen aus dem Saal, wobei sie dich ungeniert anschauten und sich lustig machten. Wieder andere, und das war noch schlimmer, hielten sich immer nur an der Theke auf, tranken sich auf Kosten des Gastgebers voll, kümmerten sich nicht im geringsten um die anderen und ließen sie in dem Glauben, daß sie schon mit der Braut getanzt hätten oder das später noch tun wollten.
All so was geschah jetzt, und die Familie nahm es bestürzt, aber hilflos wahr. So lange hatten sie sich abgeplagt und solche Auslagen gehabt! Ona stand dabei, die Augen vor Furcht geweitet. Diese schrecklichen Rechnungen – wie hatten sie sie verfolgt, von morgens bis abends an ihrer Seele genagt, sie nachts nicht schlafen lassen! Wie oft war sie auf dem Weg zur Arbeit die einzelnen Posten durchgegangen: fünfzehn Dollar für den Saal, zweiundzwanzig Dollar fündundzwanzig Cent für die Enten, zwölf Dollar für die Musik, fünf Dollar für die Kirche, außerdem noch eine Gabe für den Segen der Heiligen Jungfrau – und so weiter ohne Ende! Die schlimmste Rechnung stand noch aus, nämlich die von Graiczunas für Bier und Schnaps. Auf mehr als eine Schätzung ließ sich ein Wirt vorher nie ein – um dann hinterher anzukommen, sich am Kopf zu kratzen und zu sagen, es sei doch mehr geworden, denn die Gäste hätten ja getrunken wie die Löcher. Bei ihm durfte man gewiß sein, erbarmungslos übers Ohr gehauen zu werden, selbst wenn man sich einbildete, zu seinen besten Freunden zu gehören. Die ersten Biere zapfte er aus einem schon halb leeren Faß und die letzten aus einem noch halb vollen, in Rechnung aber setzte er zwei ganze Fässer. Er hatte sich zwar verpflichtet, eine bestimmte Qualität zu einem bestimmten Preis auszuschenken, doch was man mit seinen Gästen eingegossen bekam, waren ein unbeschreibliches Gebräu und irgendwelcher Fusel. Freilich konnte man sich beschweren, doch würde das nichts weiter eingebracht haben als einen verdorbenen Abend, und zur Polizei oder gar vor Gericht gehen – da hätte man sich genausogut gleich an den Himmel wenden können. Der Kneipier stand mit allen Verwaltungsbonzen seines Stadtbezirks auf gutem Fuß, und wer einmal erfahren hatte, was es hieß, sich mit solchen Leuten anzulegen, der war klug genug, zu zahlen, was verlangt wurde, und keine Widerworte zu machen. Das alles war um so schlimmer, weil die Zuschüsse der wenigen, die wirklich ihr Bestes getan hatten, für diese ein echtes Opfer darstellten. Zum Beispiel der arme Ponas Jokubas. Von ihm waren schon vorher fünf Dollar gegeben worden – und wußte nicht jeder, daß Mr. Szedvilas erst vor kurzem auf seinen Laden zweihundert Dollar Hypothek hatte aufnehmen müssen, um die seit Monaten anstehende Miete begleichen zu können? Und dann die verhutzelte Ponia Aniele, die Witwe war mit drei kleinen Kindern und außerdem schwer an Rheuma litt; sie arbeitete als Waschfrau bei Geschäftsleuten in der Halsted Street – zu einem Lohn, den zu hören einem das Herz brechen würde. Aniele Jukniene hatte die gesamten Einnahmen mehrerer Monate aus dem Verkauf der Eier ihrer acht Hühner beigesteuert. Sie hielt die Tiere in einem kleinen Verschlag hinten an ihrem Haus, und den ganzen Tag lang stöberten ihre Kinder auf der Müllkippe nach Futter für diese Hühner. Manchmal, wenn die Konkurrenz dort zu stark war, sah man sie auch in der Halsted Street, wo sie suchend am Rinnstein entlanggingen, mit
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