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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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dazwischenzugehen. Der dicke Ordnungshüter erlaubt sich jetzt kein Nickerchen mehr; wiederholt befühlt er seinen Knüppel, ob er auch griffbereit hängt. Er muß auf dem Sprung sein, muß blitzschnell reagieren, denn diese Schlägereien nachts um zwei sind, einmal außer Kontrolle geraten, wie ein Waldbrand und können den Einsatz der gesamten Mannschaft von der Wache notwendig machen. Man muß jedem Kampfhahn, den man sieht, sofort eins über den Kopf ziehen, ehe es so viele werden, daß man das nicht mehr kann. Um hier im Schlachthofviertel eingeschlagene Schädel wird wenig Aufhebens gemacht, denn Männern, die tagaus, tagein Tieren den Schädel einschlagen, scheint das zu einer Gewohnheit zu werden, die sie zwischen durch auch an ihren Freunden und manchmal sogar an ihren Familien praktizieren. Wir dürfen uns also glücklich schätzen, daß dank unseren modernen Methoden ein paar wenige die nun mal leider nötige Arbeit des Schädeleinschlagens für die ganze zivilisierte Welt besorgen können.
    Heute nacht kommt es zu keiner Rauferei – vielleicht weil auch Jurgis aufpaßt, mehr noch als der Polizist. Jurgis hat zwar tüchtig mitgepichelt, wie es wohl jeder tun würde, wenn sowieso alles bezahlt werden muß, ob es nun getrunken wird oder nicht, doch er ist nicht der Typ, der sich leicht gehen läßt und schnell aus der Haut fährt. Nur einmal gibt es um ein Haar etwas – verursacht durch Marija Berczynskas. Marija ist seit etwa zwei Stunden offenbar der Meinung, der Altar in der Ecke mit der schmuddlig weißen Gottheit sei, wenn auch nicht die wahre Stätte der Musen, so aber doch das, was der auf Erden am nächsten kommt. Und sie hat sich gerade in kämpferische Stimmung gethekt, als ihr das von den Schurken, die sich ums Bezahlen gedrückt haben, zu Ohren kommt. Spornstreichs, ohne sich erst noch mit Fluchen aufzuhalten, begibt sie sich auf den Kriegspfad, und als man sie zurückreißt, hat sie bereits zwei der Nassauer am Rockkragen gepackt. Zum Glück läßt der Polizist mit sich reden, und so ist es nicht Marija, die rausgeworfen wird.
    All das unterbricht die Musik für nicht länger als ein, zwei Minuten. Dann setzt die erbarmungslose Melodie wieder ein – die Melodie, die schon eine halbe Stunde lang ohne eine einzige Abwechslung gespielt wird. Diesmal ist es ein amerikanisches Lied, ein Gassenhauer, den sie auf der Straße aufgeschnappt haben; den Text scheinen alle zu kennen, jedenfalls die erste Zeile, die sie in einem fort und ohne Pause vor sich hinsingen: »In the good old summer time ... in the good old summer time! In the good old summer time ... in the good old summer time!« Von dieser Tonfolge mit ihrer sich endlos wiederholenden Dominante geht augenscheinlich etwas Hypnotisches aus. Sie hat alle, die sie hören, und ebenso jene, die sie spielen, in Stumpfsinn versetzt. Keiner vermag sich ihr zu entziehen oder das auch nur zu wollen; es ist drei Uhr früh, und sie haben all ihre Fröhlichkeit vertanzt, ebenso all ihre Energie, selbst jene, die maßloses Trinken verleihen kann – dennoch bringt es keiner unter ihnen fertig, ans Aufhören zu denken. Um Punkt sieben an diesem Montagmorgen muß jeder einzelne von ihnen auf seinem Arbeitsplatz bei Durham, Brown oder Jones sein, und sie haben sich vorher natürlich noch umzuziehen. Wer nur eine Minute zu spät kommt, dem wird ein voller Stundenlohn abgezogen, und sind es gar viele Minuten, hat er damit zu rechnen, seine Messingmarke zur Wand gedreht vorzufinden, was bedeutet, daß er entlassen ist und sich in die hungrige Menge einreihen muß, die jeden Morgen von sechs bis gegen halb neun Uhr vor den Toren der Fleischfabriken auf Einstellung hofft. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme, nicht einmal für die kleine Ona; sie hat darum gebeten, den Tag nach ihrer Hochzeit freizubekommen, unbezahlt natürlich, doch ist ihr das abgelehnt worden. Solange es so viele gibt, die auf alle Arbeitsbedingungen eingehen, besteht kein Grund, sich mit solchen zu inkommodieren, die Sonderwünsche haben.
    Ona ist nahe daran, ohnmächtig zu werden – der Schnaps- und Bierdunst im Saal hat auch sie benebelt. Sie hat zwar keinen Tropfen getrunken, aber alle anderen hier hauchen solche Fahnen vor sich her, daß man buchstäblich Alkohol atmet; bei einigen der auf ihren Stühlen oder auf dem Fußboden schlafenden Männer sind sie so stark, daß man es in ihrer Nähe gar nicht aushält. Ab und zu schaut Jurgis seine Ona verlangend an – die Schüchternheit hat

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