Der Dschunken Doktor
ins Bett zu bekommen … James würde dich umbringen lassen. Das ist eine Art von Niederlage, die er nicht schlucken kann. Im Konkurrenzkampf um winzige Prozentanteile im Seidenhandel, da steckt er auch Rückschläge ein, das Geschäft ist nun mal so – aber beim Einsatz seiner Männlichkeit duldet er nur Siege. So hat jeder Mensch seinen Tick; die schwache Stelle, wo er verwundbar ist. Was ist dein Tick, Fritz?«
»Ich bin ein Wahrheitsfanatiker.«
»Sehr schlecht. Wahrheit ist das, was die Menschen am wenigsten vertragen können. Sieh dir nur die Politik an: Sieger sind immer die besten Lügner. Wahrheit kann sogar gefährlich werden. Oft lebensgefährlich.«
»Ich habe davon einen Hauch verspürt …«, sagte Merker knapp.
Betty starrte ihn entgeistert an. »Hier in Hongkong?«
»Nicht mehr der Rede wert. Es ist alles erledigt.« Er stand auf, stellte sein Champagnerglas weg und wollte ins Haus gehen, als Yang beim Singen die Augen öffnete. Der Blick ihrer schwarzglänzenden Augen fiel voll auf Merker und blieb an ihm haften, während sie von der Liebe sang. Von der Liebe, die wie eine Sonne wärmen könne. Ihr Körper drehte sich dabei im Takt, der Schlitz des roten Kleides ließ ihre langen Beine frei bis zur Mitte des Oberschenkels – es war, als beginne eine Schlange sich zu häuten. Sachkundig, als Arzt, sah Dr. Merker, daß sie unter dem Kleid nichts mehr trug … die rote Seide war eine zweite Haut.
Eine verdammt heiße Trockenheit stieg in seinem Hals hoch. Er verfluchte sie, nannte sich sofort einen heillosen Idioten – aber der Blick ihrer Augen hielt ihn fest, bis sie in dem Rhythmus des Liedes zur Seite schwenken mußte. Es war, als zerrisse ein Bann, als löse sich eine Hypnose abrupt auf; es war wie ein Stoß gegen sein Herz, als ihre Augen ihn freigaben.
Du bist ein blöder Hund, Fritz, sagte er sich und schob den Arm bei Betty unter. Das gehört alles zum Chanson, das ist eingeübt, ein knalliger Show-Effekt, das haut bei den Männern ein, und die dämlichen Kerle fühlen sich tatsächlich angesprochen. Dabei sieht sie dich gar nicht, blickt durch dich hindurch wie durch Glas, alles ist einkalkuliert mit Text und Musik, und wenn sie sich am Ende verbeugt kannst du klatschen wie verrückt und mit den Augen rollen – du bist für sie nur ein Stück der Masse, weiter nichts.
»Du willst die Show nicht zu Ende sehen?« fragte Betty erstaunt. »Jetzt kommt Yang erst richtig in Schwung.«
»Du wolltest weg, Betty.«
»Ich kenne sie bis zur letzten Zuckung ihrer Finger. Und ich wollte dir einen trockenen Hals ersparen.«
»Ich habe keinen!« Er log glaubhaft für einen Mann, der ein Wahrheitsfanatiker sein will. »Aber ich habe Hunger auf ein paar Löffel Kaviar und einen knackigen Toast.«
An dem riesigen Büfett, hinter dem acht Köche in weißer Kleidung und mit hohen Kochmützen standen, trafen sie James. Er stand allein vor einem tranchierten Kapaun, kippte einen Whisky und war schon sehr angetrunken. Draußen lauschten alle auf Yangs Gesang … McLindlay soff. Blitzartig traf Dr. Merker die Erkenntnis, daß auch Milliardäre sehr einsam sein können, sogar unter vielen Bekannten und sogenannten Freunden.
James hob sein halbleeres Glas und prostete Merker zu: »Mit allem zufrieden, Fritz?«
»Ich finde den Abend hinreißend. Ich habe so etwas ja noch nie erlebt, Männer wie dich gibt es in Europa überhaupt nicht. Wie auch …« Er machte eine weite Handbewegung. »Die äußere Voraussetzung fehlt schon. So etwas wie du kann nur in Hongkong wachsen.«
»Gefällt dir Yang Lan-hua nicht?«
»Doch. Sehr. Warum?«
»Du gehst weg, während sie singt.«
»Ich hatte Sehnsucht nach einem Kaviartoast.«
»Banause!«
»Du bist ja auch hier drinnen.«
»Ich bin ein Mensch, der Schönheit sammelt.« McLindlay breitete beide Arme aus. »Sieh dich um … zeig mir eine Ecke, einen Flecken, einen Tupfer, der nicht der höchsten Schönheit entspricht. Sieh dir Betty an – ist sie nicht vollkommen? Sieh dir Yang an … wo gibt es Schöneres? Alles Schöne habe ich bisher erworben … nur Yang bekomme ich nicht. Das ist ein Grund zum Kummer.«
»Du hast Nerven, das in Bettys Gegenwart zu sagen!«
»Betty versteht die Leidenschaft eines Sammlers. Yang ist für sie keine Gefahr – so wenig eine Gefahr wie ein Bild, eine Skulptur, eine Vase der Ming-Dynastie, ein alter Seidenteppich, eine gotische Schnitzerei …«
»Ich kann verstehen, daß Yang in diese Liste nicht eingereiht werden
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