Der Dschunken Doktor
heute abend den sensationellen Obduktionsbericht gebracht haben. Damit sind alle Zweifel ausgeräumt!«
»Fangen Sie schon wieder mit dem Scheißbericht an?« sagte Merker grob. »Ich wollte heute nur Yang Lan-hua hören und sehen und mal für zwei Stunden vergessen, daß man mich in Mordgeschichten verwickelt hat!« Er nahm den Blumenstrauß in die Hand. Ting sah ihn verwundert an:
»Was wollen Sie damit? Sind Sie Vegetarier und haben Ihr Abendessen mitgebracht?«
»Wie witzig. Das ist für Madame Ting …«
Ting nickte, ging voraus, ließ Merker in die kleine Diele mit den geschnitzten Deckenbalken und schloß sorgsam die Tür. Dann streckte er die Hand aus und lächelte schwach:
»Bitte, die Blumen, Flitz. Die Dame des Hauses bin ich …«
»Ich dachte …« Dr. Merker war sehr verlegen und drückte Ting den Strauß in die Hand. »Pardon. Wer konnte das ahnen? Ich hatte angenommen …«
»Ihre Annahme war richtig. War!« Ting ging voraus in ein geräumiges Wohnzimmer mit einer Ledergarnitur in einem Rattangestell, mehreren Lacktischchen und großen, kunstvoll bemalten Porzellanvasen. In eine dieser Vasen stellte er die Blumen und garnierte sie mit flinken Handbewegungen. »Meine Frau ist mir weggelaufen.«
»Wenn ich das vorher gewußt hätte, Ting … Ich bin und bleibe ein Dussel und ein Tölpel!«
»Wir wollen Freunde sein, und Freunde haben ein Recht auf gegenseitige Wahrheit. Nehmen Sie Platz, Flitz. Bis zur Fernsehübertragung sind es noch zwanzig Minuten. Mögen Sie chinesischen Wein?«
»Ich habe ihn ein paarmal getrunken. Er ist gut, wenn er aus dem Süden kommt.«
»Dieser hier wächst gleich hinter Kowloon. Ein trockener Wein, vergleichbar mit Ihrem Riesling.« Ting wartete, bis Dr. Merker saß, und holte dann aus einem Schrank die Flasche. Während er den Korkenzieher hineindrehte, sagte er: »Wir waren neun Jahre verheiratet – dann verließ sie mich. Das war vor zwei Jahren.«
»Sie kam wohl mit Ihrem Beruf als Polizist nicht zurecht? Das hört man manchmal, daß die Frauen dazu nicht die Nerven haben.«
»Das machte Kwai nichts aus.« Ting zog den Korken aus der Flasche. Es machte laut plopp und erinnerte an einen Abschuß mit einem Schalldämpfer. »Etwas ganz Verrücktes zerstörte unsere Ehe: Die Ideologie. Sie sehen mich verständnislos an, Flitz … aber so war es. Als ich Kwai heiratete, war sie Studentin und war mir aufgefallen, als sie bei einem Protestumzug die rote Fahne trug. Machen wir es kurz: Kwai war Kommunistin, bewunderte den Großen Vorsitzenden Mao Tse-tung bis zum Exzeß, ja, Mao nahm bei ihr fast göttliche Züge an, und als Mao starb, war es, als verlösche auch in ihr ein Licht. Ich bin kein Rot-Chinese, ich bin auch kein National-Chinese … ich bin ein Hongkong-Chinese, ein nach allen Seiten freier Mensch. Das hat sie nie begriffen … am Tag war ich für sie der Stiefelküsser der Kapitalisten und Kolonialisten, in der Nacht war ich ihr Drache, von dem sie sich im Liebesrausch hätte zerreißen lassen. Irgendwie erkannte sie, daß dies alles nicht zusammenpaßte, und sie entschied sich für das rote China. Bei Lin Ma Hang ist sie über die Grenze, das habe ich später in mühseliger Kleinarbeit rekonstruiert. Mit einem Handkarren, wie eine arme Bäuerin. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.« Ting goß zwei Gläser voll Wein; er hatte eine strohgelbe Farbe. »Auch so etwas gibt es, Flitz. So ein menschliches Leben ist doch verrückt! Jedes menschliche Leben, wenn man es genau betrachtet. So kurz und so behangen mit sinnlosen Kletten.« Er setzte sich neben Dr. Merker, man prostete sich stumm zu, trank einen Schluck und fand den Wein köstlich. Herb, mit einem Nachgeschmack von süßen Mandeln. Ein ganz eigenartiges Aroma. »In fünf Minuten sehen Sie Yang Lan-hua wieder …«
Dr. Merker sah Ting mit einem Kopfschütteln an. »Sie sind ein Schlitzohr, Ting. Wissen Sie, was das ist?«
»Nein.«
»Ich erkläre es Ihnen nach der Show. – Natürlich wußten Sie, daß Yang bei McLindlay aufgetreten ist …«
»Ich muß mich doch um Sie kümmern, Flitz. Mit Ihrer Unbekümmertheit tappen Sie vom Himmel in die Hölle und zurück und merken es gar nicht.« Ting blinzelte Merker wie einem Verschwörer zu. »Yang ist schön, nicht wahr?«
»Schön? So ein banales Wort für sie. Yang ist einfach nicht zu beschreiben. Man müßte Musiker sein, dann gäbe es dafür Töne. Stellen Sie sich vor, Puccini hätte sie beschrieben … welche Klänge hätte er
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