Der Dschunken Doktor
du hättest ein Heer von Schwägern um dich. Patrick Wilson, ihr Mann – dort drüben steht er an der Wand, Reederei Wilson, Pilcock und Cie. –, kann sich von ihr nicht trennen, weil sie zuviel von seinem Aufstieg in Hongkong weiß. Die einzige Möglichkeit, sie loszuwerden, ist die beliebte Lösung, einen Killer zu kaufen. Aber dazu fehlt Patrick der Mut.« Sie lachte hell und legte den Arm um Merkers Hals. »Oder ist es Emely Temple? Sieht aus wie Dreißig, ist aber fünfundvierzig. Drei Liftings … überall … kann deshalb nur einteilige Badeanzüge tragen. Das nur zur Vorinformation, damit du nicht erstaunt bist, wenn sie sich auszieht …«
»Ich bin hier, um zu staunen«, sagte Merker ruhig, »nicht, um Potenz zu zeigen. Das alles hier wäre geradezu unwahrscheinlich und unglaubhaft, wenn man es nicht tatsächlich anfassen könnte.«
Lichter erloschen, nur ein Scheinwerferkegel erhellte die Bühne. In das Licht hinein trat, nein, schwebte ein geradezu unbegreiflich schönes Mädchen, schlank, feingliedrig, mit knielangen, schwarzen, wie Lack glänzenden Haaren, in einem eng anliegenden, einfarbigen roten Kleid, das bis zu den Hüften geschlitzt war. Es kreuzte die Hände vor den Brüsten, verneigte sich tief in Demut und griff dann zum Mikrofon.
Die Anwesenden klatschten etwas müde; Merker empfand das vor so viel Schönheit als eine grobe Beleidigung.
Betty Harpers schielte zu ihm hin. »Soll ich dir die Augen zudrücken? Sie fallen fast heraus«, lächelte sie.
»Wie kann ein Mensch so schön sein …« Merker wandte sich zu Betty. »Und wenn du platzen würdest, du mußt zugeben: Das ist vollkommene Schönheit.«
»Fast! Streich die Schminke ab.«
»Es bleibt genug übrig. Wer ist sie?«
»Yang Lan-hua, eine Nachtclubsängerin … weiter nichts! Drei Viertel Chinesin, ein Viertel Malaiin.«
»Ein unglaublich herrlicher, menschlicher Cocktail!«
»An dem du nie nippen wirst. Sie haßt Weiße.«
»Und tritt vor Weißen auf?«
»Weiße Dollarscheine sehen aus wie chinesische Dollarscheine. Das ist ihr einziger Kompromiß. James hat längst versucht, sie auf seine Matratze zu bekommen. Ich weiß es … ich weiß alles, was in diesem Haus – auch heimlich! – vor sich geht. Ich hätte es nicht verhindert, ich wäre nur um eine Million reicher geworden.«
»Man kann dich nicht kaufen, hast du mal gesagt …«
»So ist es.« Betty lächelte hintergründig. »Die Million wäre ein Pflaster der Besänftigung gewesen … was sonst? Aber James kam gut davon … Yang war nicht bereit, für kein Geschmeide, keinen Rolls, keine Villa am Berg, keine monatliche Rente – sie sagte schlicht ›No!‹ – James war direkt verwirrt. Das hatte er bisher noch nie erlebt. Und er bekam einen Tobsuchtsanfall, als er erfuhr, daß sie einen Geliebten hatte, einen Chinesen natürlich. Einen jungen Architekten, den James auch noch an seinen vielen Bauten beschäftigte. Natürlich flog der Junge aus dem Bau-Team, aber Yang hielt zu ihm. Seitdem läßt James sie für sich auftreten und demütigt sie, wo er nur kann.«
»Und das läßt sie sich gefallen?«
»Man sieht es einem Dollarschein hinterher nicht an. Sie könnte es einfacher haben, wenn sie auf andere Weise aus ihrer Schönheit Kapital schlagen würde.«
»Das imponiert mir«, sagte Merker. Es war fast wie ein Aufatmen. Er war lange genug in Hongkong, um schon zu wissen, wie sich hübsche Mädchen hier ein leidlich gutes Leben schafften – ob in den Gassen von Yau Ma Ti oder im Stadtteil Wanchai von Hongkong, ob rund um die Lockhart und Hennessy Road oder zwischen Fenwick Street und Marsh Road … Dort warteten Tausende von schönen Mädchen auf ihr ›Glück‹ und waren bereit, mit ihrem Körper zu bezahlen. Ein Heer von ›Suzie Wongs‹ auf der Jagd nach einem schöneren Leben! Daß Yang, dieses Wunder einer Frau, nicht dazugehörte, beruhigte ihn ungemein, obwohl ihn das gar nichts anging.
Yang Lan-hua begann zu singen. Sie hatte eine helle, klare, tragende Stimme, die in der Höhe nicht schrill wurde wie bei so vielen Showsängern, und die eine Melodie zu modulieren vermochte und wirklich Wohlklang verbreitete. Beim Singen hielt sie die Augen geschlossen, was wie Konzentration, aber auch vollkommene Hingabe aussah und ungemein erotisch wirkte. Ihr Gesicht zerfloß dann, als läge sie in den Armen eines Mannes und singe dabei.
»Komm zurück zur Erde!« sagte Betty spöttisch und zupfte Dr. Merker am Ärmel. »Ich glaube, wenn es dir gelänge, Yang
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