Der Dschunken Doktor
der Ausstreuung das Gerücht zu Ohren kam, fuhr sofort ins Polizeihauptquartier zu Ting Tse-tung.
»Da haben Sie aber ein Ei gelegt, Ting!« sagte er wütend, während Ting lächelte. »Wollen Sie, daß man mir einen vor den Kopf ballert?«
»Warum sollte man? Jetzt sind Sie so wichtig, daß man Sie in Watte packen wird. Man will natürlich wissen, was Sie entdeckt haben. Dazu müssen Sie ja weiterleben! Man kann Sie höchstens kidnappen und ›chinesisch‹ verhören. Das hält keiner aus, ich weiß das – aber was will man mit einer halbfertigen Sache? Erst wenn durchsickert, daß Sie den Krankheitserreger tatsächlich gefunden haben, wird's brenzlig!«
»Das zu behaupten kriegen Sie auch noch fertig!« rief Dr. Merker empört.
Tings Miene verlor das Lächeln, es wurde zur Maske. »Doktol Melkel … ich habe fünf Ermordete in meinem Aktenschrank. Und fünf Mörder, die an einer Leberzersetzung starben, deren Ursache keiner kennt. Ich ahne es, daß auch sie ermordet wurden. Zehn ungeklärte Tote, Sir …«
»Ich habe sie nicht umgebracht!« schrie Merker erregt.
»Aber durch Sie und mit Ihnen könnten wir die Mörder kennenlernen. Die Panne mit der letzten Mörderin ist nun mal passiert, wir müssen sie schlucken, und sie war auch – geben Sie es zu – ein Teil Ihre Panne, weil Sie sich sinnlos besoffen haben …«
Ting Tse-tung lehnte sich in seinem Korbsessel zurück und wippte hin und her. »Ich brauche von Ihnen so etwas wie ein Kommunique mit völlig unverständlichen Formulierungen, damit die Sache offiziell aussieht.«
»Suchen Sie sich dafür einen Märchenschreiber, Herr Ting!«
»Wenn die Krankheit auch einmal in Deutschland auftauchen sollte – und warum sollte sie es nicht? –, wird Ihr Gewissen schlagen, falls Sie bei diesem Nein bleiben.«
»Kommissar Ting, Sie erinnern mich an meine Kinderzeit. Damals sah ich ein Märchen auf der Bühne des Hamburger Thalia-Theaters. Und in dem Theaterstück kam ein Teufelchen vor, dem Sie sehr ähnlich sehen. Ich habe das Teufelchen gehaßt, bis ich vernünftiger denken konnte.«
»Hervorragend!« Ting Tse-tung lächelte wieder breit. »Also, Sie schreiben das Kommunique. Konzentrieren Sie sich vor allem auf die Gehirnautopsie. Die verjauchte Leber gibt nichts her, die hat Dr. Wang schon fünfmal in Atome zerlegt, da können wir keinem etwas vormachen. Mit dem Gehirn aber hat man bisher geschludert, da gibt es noch Möglichkeiten, irgendwas herauszufinden. Denken Sie daran: Es könnte sein, daß wir auf diesem Umweg einer unbekannten schrecklichen Krankheit auf die Spur kommen. Das wäre eine medizinische Sensation … Haben Sie heute abend etwas vor?«
»Nein. Warum?«
»Geben Sie mir die Ehre, mich in meiner armseligen Hütte zu besuchen, Doktol. Wir können uns im Fernsehen gemeinsam die Musik-Show mit Yang Lan-hua ansehen.«
»Ich komme gern«, sagte Dr. Merker mit plötzlich trockenem Hals. »Sehr gern …«
Weil auch der späte Abend noch schwül und drückend war, zog Dr. Merker nicht seinen neuen Anzug an, sondern begnügte sich mit einer leichten Leinenjacke.
Kommissar Ting erwartete ihn vor seinem kleinen Haus im Vorgarten. Er trug einen chinesischen Seidenkimono, bestickte Pantoffeln und ein buntes, rundes, mit Perlen verziertes Käppi. Er sah völlig fremd aus und gar nicht wie der Chef der Kowlooner Mordkommission, der seit Jahren eine Fülle blutiger Schicksale sammelte. Was Merker nicht sah: Auch unter dem Kimono hatte Ting im Schulterhalfter seine schwere Pistole. Von ihr trennte er sich nur im Bett … da legte er sie griffbereit auf ein Brettchen neben seinem Kopf.
Merker stieg aus dem Taxi, bezahlte den Driver und streckte Ting beide Hände entgegen. Unter den linken Arm hatte er einen Blumenstrauß geklemmt.
»Willkommen in meiner kleinen Hütte«, sagte Ting und blickte dabei einem kleinen roten Auto nach, das schnell die Straße hinunterfuhr. »Nun werden sie aber gewagte Überlegungen anstellen.«
»Ich? Wieso?«
»Nicht Sie, sondern sie.« Ting zeigte auf den verschwindenden kleinen Wagen. »Haben Sie nicht gemerkt, daß Sie beschattet werden?«
»Ich hatte keine Ahnung.«
»Sie sind wirklich ein harmloser Engel! Aber so etwas hat ja meistens Glück.« Ting ließ den Arzt durch die eiserne Pforte in den Vorgarten. »Nun wird man rätseln: Was hat der Mann bei Ting zu suchen. Genau das können wir gebrauchen. Es war eine blendende Idee, bei mir die Fernseh-Show anzusehen. Natürlich werden sie annehmen, daß Sie mir
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