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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aber nach jedem Schluck Whisky kommt bei mir ein Geistesblitz. Die Patienten sind sehr zufrieden.«
    Dr. Merker zog seine leichte Seidenjacke aus, die für den Besuch bei Yang gedacht gewesen war, krempelte die Ärmel hoch und tauchte die Hände wieder in die Waschschüssel. Dr. Mei hatte eine uralte Flasche mit einem Desinfektionsmittel entdeckt und das Waschwasser damit veredelt. Ob das Mittel noch wirksam war, wußte keiner. Wie sagte doch einmal ein berühmter deutscher Chirurg: In der Medizin ist Gottvertrauen das Wichtigste.
    »Wie bekommen wir die Galle an Land?« fragte Merker während des Waschens.
    »Oho! Sie haben ein Bett für ihn?«
    »Ja.«
    »Im Queen Elizabeth?«
    »Natürlich.«
    »Gar nichts ist hier natürlich! Haben Sie gesagt, es käme ein Wasserchinese?«
    »Nein. Ein Freund.«
    »Beim nächsten Besuch im Hospital wird man Sie reihum in den Hintern treten.« Dr. Mei kratzte sich am Kopf, was nicht gerade der Sterilität zugute kam, und setzte dann die Whiskyflasche zu einem kräftigen Schluck an die Lippen. »Wie bekommen wir ihn an Land? Natürlich mit einem Sampan. Wartet etwa am Quai sogar ein Krankenwagen auf uns?«
    »Wenn wir drüben sind, werde ich sofort einen kommen lassen.«
    Dr. Merker ging zu Mei, betrachtete das gereinigte Geschwür und blickte über den alten Kasten mit den Medikamenten.
    »Haben Sie Antibiotika?« fragte er.
    »Woher denn? Bei plötzlicher Praxiseröffnung nach fünf Jahren Ruhe …«
    »Was wollen Sie denn auf das Geschwür geben?«
    »Zinksalbe … die habe ich noch. Ich sage der jungen Dame, daß es das beste Penicillin ist. Sie sollen sehen, wie schnell das heilt!«
    »Wir werden in Kowloon eine ganze Apotheke räumen und herüberrudern.« Merker nahm Yang einen Tupfer ab, holte, so gut es ging, den letzten Eiter aus dem Geschwürtrichter und sah dann zu, wie Dr. Mei die alte Zinksalbe fingerdick darüberschmierte. Was er dabei in dem Wasser-Chinesisch sagte, verstand er natürlich nicht, aber es mußte beruhigend wirken. Das Mädchen nickte mehrmals zufrieden.
    »So, und jetzt zur Galle!« sagte Dr. Mei und tauchte die Hände in die Sterillösung. »Das wird eine Aufgabe sein, die Familie davon zu überzeugen, daß ihr Papa an Land in ein richtiges weißes Bett muß! Es wird für Sie lehrreich sein, das Palaver zu hören und zu sehen.«
    An Deck stauten sich immer mehr wartende Kranke. Das ganze Vorschiff war ein einziger Menschenhaufen. Endlich wieder ein Arzt …
    Dr. Merker blieb betroffen am Ende der Treppe stehen.
    »Da warten drei Tage Arbeit«, sagte er, tief durchatmend.
    »Mindestens. Die Kranken bleiben jetzt so lange auf der Dschunke, bis sie drangekommen sind. Und wenn es vier Tage dauert … sie werden hier leben. Sie haben ihren Platz in der Reihe zu verteidigen. Wer gibt denn seine Chance auf?«
    Sie gingen zu den hohen Aufbauten am Heck der Dschunke, wo einmal die Privaträume Dr. Meis gelegen hatten, und wo er ein kleines Hospital ausbauen wollte. Dort, wo der Kranke mit der akuten Galle gelegen hatte oder liegen sollte, war der Platz leer. Die Trage aus Zeltplanen und Bambusstangen, die beiden Nachbarn, die Familie des Kranken waren verschwunden. Dr. Mei steckte die Hände in seinen sackähnlichen grauen Anzug.
    »Na also«, sagte er bloß. Dr. Merker starrte ihn entsetzt an.
    »Was heißt das?«
    »Die Menschen hier sind daran gewöhnt, eigene Entscheidungen zu treffen.«
    »Sagen Sie bloß, sie sind mit dem Kranken abgerückt!«
    »Sie haben Hospital und Land gehört und sind geflüchtet.«
    »Das ist doch Wahnsinn!« rief Dr. Merker. »Unbehandelt ist der Mann in zwei Tagen tot …«
    »Sicherlich.«
    »Sie müssen sofort herausbekommen, wo er wohnt. Wir holen ihn ab …«
    »Sie denken noch immer europäisch, Fritz.«
    »Ich denke nur als Arzt! Der Kranke muß her!«
    »Sie sollen Ihren Willen haben. Ich frage herum.«
    Dr. Mei schlurfte hinüber zu den Wartenden und verschwand in der Menschenmenge. Nach einigen Minuten tauchte er wieder auf, aber schon an seinem Gang glaubte Merker zu erkennen, daß er nichts erreicht hatte.
    »Die Galle heißt Liang. Aber Liang heißen Hunderte. Auf welchem Hausboot er wohnt, weiß angeblich niemand. Das ist natürlich bestialisch gelogen, aber mehr ist nicht herauszukriegen.«
    »Das ist das Todesurteil!« Dr. Merker blickte über das Gewühl der Dschunken, Wohnboote und Sampans, die unter dem Gold der Nachmittagssonne schaukelten und von den Touristen auf den großen Ausflugsschiffen bestaunt wurden.

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