Der Dschunken Doktor
alles, Fritz? Soll das heißen, daß Sie bei mir bleiben?«
»Ja, Dr. Mei …« Merkers Stimme klang unsicher. Bei diesem klaren Ja überkam ihn selbst Rührung.
»Oh, all ihr Himmel … Sie nehmen meine Dschunke an?! Sie werden der neue Dschunkenarzt sein?«
»Wenn man mich hier will und aufnimmt … Sie hatten recht, hier habe ich eine große Aufgabe. Diese zwei Tage haben mich überzeugt. Wenn ich diese Kranken sehe …«
»Er bleibt bei uns! Er bleibt bei uns, Yang!« schrie Dr. Mei und hüpfte durch das Zimmer. »Ihr Himmel, holt alle Sterne heraus! Yang, wo sind meine Paukenschlegel? Er bleibt bei uns! Das ist den längsten Wirbel wert, den ich noch schlagen kann! – Yau Ma Tei hat einen neuen Doktor …«
Er fiel Dr. Merker um den Hals, küßte ihn über das ganze Gesicht, rannte dann hinaus und hinüber in seine Wohnhöhle und hämmerte einen Wirbel auf seinen Pauken, daß Merker Sorge hatte, er könne bei dieser Anstrengung einen Herzschlag bekommen.
Gegen Morgen klopfte es an der Zimmertür, hinter der Yang und Dr. Merker wieder eng umschlungen schliefen. Ohne eine Antwort abzuwarten trat Dr. Mei ein und stieß einen Zeigefinger in das nackte Gesäß von Merker.
»Es bricht mir das Herz, Sie aus der Umklammerung wiederum zu lösen«, sagte er leise, als Merker aufschrak. »Ich schwöre, ich bin kein Voyeur, und ich betrachte diese Art der Nächtigung als die gottgefälligste – aber Sie müssen raus! Ich weiß jetzt, wo Ihre akute Galle wohnt. Ein Vertrauensmann hat mir eben die Nachricht überbracht. Solche Informationen kommen immer zu den unpassendsten Zeiten. Ein Sampan wird uns hinbringen.«
Yang wachte nicht auf, als Merker aufstand; wenigstens tat sie so, als schlafe sie tief weiter. Merker zog sich schnell im Dunkeln an, schlüpfte hinaus und traf Dr. Mei an der Treppe nach oben. An Deck lagen die Patienten, die auf den nächsten Tag warteten, eng zusammen und schliefen, geschützt durch Decken, die sie über sich gebreitet hatten. Ein paar Mann saßen an der Reling oder an den Aufbauten und hielten Wache. Ein gesundes Mißtrauen erhöht die Lebenserwartung.
Mei und Merker kletterten die morsche Strickleiter hinab und ließen sich in das flache Boot, das auf sie wartete, fallen. Fast lautlos stieß es von der alten Dschunke ab und glitt durch die engen Wassergassen, gerudert von einem schweigsamen jungen Mann, dessen Gesicht von Pockennarben übersät war.
»Den Kerl habe ich vor vierzehn Jahren von den Pocken gerettet«, sagte Dr. Mei leise. »Damals war er sechs Jahre alt. Das vergißt er mir nie.«
Dr. Merker blickte zurück auf Meis Dschunke, dieses vergammelte, hochbordige, hölzerne Ungeheuer mit den verrotteten Segeln und faulenden Aufbauten.
»Ein jämmerlicher Anblick«, sagte er.
»Ändern Sie es, Fritz. Es ist jetzt Ihre Dschunke! Heute bekommen Sie es schriftlich in Form einer Schenkung.« Dr. Mei lehnte sich zurück. »Verrückt diese Förmlichkeit unter Erben. Du bist jetzt Fritz. Ich bin Mei. Darauf saufen wir nachher einen Litertopf leer!«
»Nicht einen Tropfen, Mei! Du wirst langsam aber sicher trocken werden!«
»Eher trocknet das Meer aus! Es ist zum Kotzen! Kaum habe ich einen Erben, der altersmäßig mein Sohn sein könnte … schon fängt das Bevormunden an! Ich bin nicht mehr umzukrempeln. Man hat mich schon zehnmal gewendet – der alte Stoff bleibt! – Nanu, wo fahren wir denn hin?«
Der Sampan glitt durch eine breitere Wasserstraße, vorbei an größeren und wertvolleren Wohnbooten, an geschnitzten Dschunken, bunt bemalt, die als Fotoobjekt der Touristen herhielten und deren rote Segel besonders attraktiv auf den Bildern herauskamen. Dann plätscherte der Sampan wieder in eine enge Gasse und schaukelte vor einer Dschunke in der dritten Reihe langsam aus. Dr. Mei zeigte auf ein Wohnboot, auf dem Wäsche flatterte und das sehr wohlhabend aussah.
»Dort wohnt Koon Lung-tse. Er ist Kapitän eines Fährbootes und damit ein wohlhabender Mann unter seinen Nachbarn. Seine Strecke ist Kowloon-Victoria-Tai Lam Chung auf den New Territories. Eine schöne Fahrt. Es gibt kaum einen, der die Gewässer von Hongkong besser kennt als Koon.« Dr. Mei schwieg. Er blickte an der Dschunke, vor der sie jetzt dümpelten, empor und sah nur ein einziges Positionslicht brennen. Noch war es dunkle Nacht, wenn auch ganz schwach im Osten ein schmaler heller Streifen emporkletterte. Trotz des leisen Wasserklatschens an der Bordwand meinte er, Gesang zu hören oder ein eintöniges
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