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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sprechen. Mei sah Dr. Merker mit einem merkwürdigen Blick an.
    »Hörst du das, Fritz?«
    »Nein. Es ist alles still.«
    »Gott gebe dir starke Nerven.«
    Das Boot glitt bis zu einer hölzernen Treppe, die ins Wasser hing. Auf ihr stiegen Dr. Mei und Dr. Merker an Bord und fanden sich umgeben von aufgehängter Wäsche, zusammengefalteten Segeln und alten Papiergirlanden. Am Eingang der hinteren Aufbauten streckte sich ein furchterregend aussehender Drache aus Pappe. Bei besonderen Feierlichkeiten wurde er an hölzernen Pfählen aufgerichtet und herumgetragen.
    Jetzt hörte auch Merker den eintönigen Sprechgesang und blieb stehen. Die Laute kamen aus dem Aufbau. Dort schimmerte trübes Licht durch vorgezogene Vorhänge.
    Langsam gingen sie über Deck, öffneten die bemalte Tür und traten in einen großen, niedrigen Raum. Während Dr. Mei stehen konnte, mußte Merker seinen Kopf nach vorn beugen. Die gesamte Familie war versammelt, saß auf Matten auf dem Boden, die Hände auf die Knie gestützt, regungslos, erstarrt zu bizarren Figuren. Die Urgroßmutter sang halblaut vor sich hin und drehte dabei in ihren Gerippe-Händen die elfenbeinerne Nachbildung einer Lotosblüte.
    Im Kreis der Familie, gebettet auf einen Teppich, zugedeckt mit einer seidenen Decke lag der Kranke. Zwei Tranlämpchen links und rechts von seinem Kopf beschienen ein gelöstes, friedliches Gesicht, frei von allen Schmerzen.
    Niemand beachtete die Eintretenden. Die Urgroßmutter betete weiter, die Familienangehörigen starrten regungslos auf den Aufgebahrten. Ein süßlicher Duft von einer Reihe Räucherstäbchen erfüllte die Luft in dem weiten, niedrigen Raum.
    »Er ist tot«, flüsterte Dr. Merker. »Er wäre zu retten gewesen.«
    »Vielleicht.« Dr. Mei zerrte an Merkers Ärmel. »Komm, laß uns wieder gehen …«
    »Ich möchte mir den Toten noch einmal ansehen.«
    »Blödsinn. Wozu denn? Tot ist tot!«
    »Genau deshalb! Ich muß den Totenschein ausstellen.«
    »Hier verlangt niemand einen dämlichen Totenschein! Komm jetzt!«
    »Ich kann nicht als Arzt weggehen, ohne den Tod festgestellt zu haben.«
    Dr. Merker machte sich aus dem Griff Meis los, trat in den Kreis der Verwandten und beugte sich über den Toten. Die Urgroßmutter sang weiter, die Familie saß wie versteinert. Mit einem entsetzten Ruck fuhr Dr. Merker zurück und warf sich zu Dr. Mei herum. Der stand ebenfalls wie eine Statue im faden Licht und hatte die Hände gefaltet.
    »Sie … sie haben ihn getötet …«, brachte Merker mühsam hervor. »Sie haben ihn umgebracht!«
    »Es war eine Entscheidung des Familienrates, Fritz.«
    »Ermordet …«
    »Sie nennen es erlöst.«
    »Er hat Würgemale am Hals!«
    »Man nimmt dazu seit Jahrhunderten eine Seidenschnur.«
    »Das hier ist Mord!« schrie Merker und sprang aus dem Kreis der Trauernden. »Sie haben ihn getötet, damit er nicht an Land muß! Einfach erwürgt haben sie ihn, und er wäre im Hospital zu retten gewesen! Was sind das bloß für Menschen?«
    »Deine Patienten, Fritz … mit ihren eigenen Gesetzen. Daran mußt du dich gewöhnen, damit mußt du leben! Auf dem Wasser wird geboren, auf dem Wasser wird gestorben – daran änderst auch du nichts!« Dr. Mei legte die Hand um Merkers Taille. »Komm jetzt. Störe ihre Trauer nicht weiter.«
    »Mörder trauern?! Das ist ja absurd! Ich werde die Polizei rufen!«
    »Dann wirst du nie ihr Dschunkenarzt werden, Fritz! Es gibt einen anderen Weg.«
    »Das ist ja die Hölle!«
    »Tu das, was ich nie erreicht habe: Bau die Dschunke als Hospital aus. Alles, was auf dem Wasser liegt, ist gut.«
    »Im Moment bin ich fertig«, sagte Merker tonlos. »Völlig fertig!«
    Er warf noch einen Blick auf das zufriedene Gesicht des Toten und wandte sich schaudernd ab. Der eintönige Gesang der Urgroßmutter tat ihm körperlich weh. Er rannte aus dem Raum und atmete draußen tief die klare Nachtluft ein.
    Dr. Mei folgte ein paar Minuten später. Er hatte bei dem Toten ein kurzes Gebet gesprochen und ihm einen kleinen Drachen aus Papier auf die Brust gelegt. Er hatte ihn heimlich mitgebracht … er kannte seine Wasserchinesen.
    Die Spurensammlung an Tings in die Luft gesprengtem Haus ergab kaum Hinweise. Von dem Fahrer fand man buchstäblich nur noch Fetzen. Das einzige, was man herausfinden konnte, war der Wagentyp und seine Verwendung als Wäschereifahrzeug. Da es in Hongkong mindestens zweitausend Wäschereien gibt, sah Ting davon ab, alle zu überprüfen. Es war völlig sinnlos.
    Man muß

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