Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Othman auch Orks zum Leuchten bringen konnte, daran hätte Milo nicht im Traum gedacht.
Beeindruckt von den Resultaten der neuerlichen Forschungen des Zauberers und mit etwas schlotternden Knien, hielten Milo und Nelf auf die Tür des Krähenturmes zu. Nichts regte sich hinter den Fenstern, die wie Treppenstufen um den Turm herum angelegt waren. Es roch nach verbranntem Fleisch, und von einem der toten Orks stiegen noch immer winzige Rauchfäden auf. Der Besuch der Grünbluter konnte nicht lange zurückliegen. Milo hoffte, dass Othman mittlerweile mehr der Sinn nach Besuch stand. Er trat an die Tür.
»Ich würde nicht klopfen«, verriet Nelf.
»Warum nicht?«
Nelf zeigte auf die verkohlten Leichen. »Ich glaube, sie haben dasselbe versucht und eine Abfuhr bekommen.«
Milo überlegte einen Augenblick, kam dann aber zu dem Schluss, dass es sinnlos war, vor dem Turm zu stehen und zu rufen. Er war sich sicher, dass Meister Othman oder Rubinia sie gesehen hatten, als sie über die Lichtung liefen. Vielleicht hatten die beiden sich irgendwo oben im Turm verschanzt und konnten nicht so schnell heraus oder hatten Angst davor, entdeckt zu werden. Milo wollte keine Zeit verschwenden. Jede Minute war kostbar, falls Othman keinen Plan bereithielt.
»Vielleicht passiert das nur bei Grünblutern«, erwiderte Milo zuversichtlich.
»Du hast aber plötzlich viel Vertrauen in die Magie von deinem Meister Othman.«
Milo griff gerade nach dem Türklopfer, da schwang die Tür auf und ein dünner grauer Arm packte ihn. »Bist du verrückt geworden?«, keifte ihn ein Tunnelgnom an und zog Milo zu sich ins Foyer.
Nelf verlor keine Zeit und schlüpfte hinterher. Die beiden Halblinge sahen sich umrundet von einer Handvoll Gnome. Alle hatten sich bewaffnet – mit Kerzenständern, Besenstielen oder Pfannen aus der Küche.
»Was ist hier los?«, fragte Milo verwirrt. »Wo sind Meister Othman und Tante Rubinia?«
Einer der Gnome trat vor. Es war Aschgrau, der Gehilfe und Vertraute des Zauberers. Er war der Einzige, der keine Waffe trug, wenn man sie denn so nennen wollte. Dafür krönte sein Haupt ein breiter silberner Ring mit einem eingelassenen gelben Topas. Der Stein leuchtete schwach.
»Die Fragen stelle ich«, krächzte er. Dann fielen die Gnome über sie her. Milo traf etwas Hartes am Kopf, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
44. ODA
Komm zu mir, Oda!
Die Stimme in ihrem Kopf beherrschte mittlerweile jeden ihrer Gedanken. Es musste Stunden her sein, oder vielleicht sogar schon einen ganzen Tag, dass sie sich von Rubinia getrennt hatte. Sie war erneut dem Gang und der Stimme gefolgt, doch schon nach kurzer Zeit endete ihr Alleingang vor einer weiteren Tür, an der sich wie durch Zauberhand zwei Fackeln von selbst entzündeten, als sie näher kam. Die Tür war aus rohem, unbehandeltem Eichenholz, eingefasst in eine schwere Zarge aus ebensolchen Bohlen. Sie besaß weder ein Schloss noch einen Knauf, an dem man hätte ziehen oder drücken können.
Oda hatte alles versucht, um die Tür zu öffnen. Sie hatte sich dagegengeworfen, darauf eingetreten, mit den Händen gehämmert und sie verflucht. Sie hatte gejammert, gebettelt und geweint. Nichts hatte geholfen. Nach jedem gescheiterten Versuch hatte die Stimme erneut nach ihr gerufen. Jedes Wort hatte sich in ihren Kopf gebrannt wie ein glühendes Eisen, und ihr Verlangen danach, den Ursprung der Stimme zu finden, hatte sie fast um den Verstand gebracht. Wie von Sinnen hatte sie mit den Fäusten auf die schwere Eichentür eingehämmert, bis ihre Knöchel blutig waren. Irgendwann war sie schluchzend zusammengebrochen.
Zusammengekauert hockte sie nun schon mehrere Stunden vor der Tür, zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken zu fassen.
»Das ist keine Tür«, sagte plötzlich jemand hinter ihr mit fistelnder Stimme.
Erschrocken fuhr Oda herum, schnappte sich ein Stück getrockneten Lehm vom Boden, das irgendwo aus der Decke gebrochen war, und hielt es bereit zum Werfen.
Vor ihr stand ein Tunnelgnom. Der kleine Wicht war abgemagert und hatte sich einen alten ausgefransten Feudel als Lendenschurz gebastelt. Sonst hatte er nichts weiter bei sich. Verwundert starrte der kleine Kerl abwechselnd auf das Stück Lehm in Odas Hand und an die Decke.
»Ohne Leiter bekommst du das da nie hinein«, sagte er. »Ich würde es einfach wegwerfen. Wem fällt schon ein Stück fehlender Putz an der Decke auf?«
»Woher kommst du?«, fragte Oda, immer noch nach Fassung ringend.
Der
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