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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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wie uns, oder sie haben ihm noch Schlimmeres angetan. Er ist schließlich ein alter Mann.«
    In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Studienzimmer, und Othman kam herein. Er trug einen rubinroten Mantel und darunter eine schwarzen Schärpe, die quer über die Brust verlief. Sein graues Haar war ordentlich gekämmt und der Bart fein säuberlich gestutzt. Das letzte Mal, das Milo den Magier so gepflegt und ohne Brandlöcher oder Schmutzflecke auf seiner Robe gesehen hatte, musste Jahre zurückliegen. Es war anlässlich eines dervielen Feste in Eichenblattstadt gewesen. Wortlos und ohne einen Blick auf die Halblinge oder seinen Assistenten zu werfen, ging er hinüber zur Balkontür und öffnete sie.
    Die glutrote Scheibe der Sonne schob sich gemächlich über den Horizont aus dunkelgrünen Baumwipfeln. Othman trat hinaus auf den kleinen Balkon und atmete tief ein und aus. Den drei Halblingen verschlug es die Sprache, was Aschgrau sofort nutzte.
    »Was soll ich mit denen hier machen, Meister?«, krächzte er mit vergnügter Vorfreude.
    »Was kümmert es mich, was du mit diesen armseligen Kreaturen machst«, antwortete Othman, weiterhin den Sonnenaufgang betrachtend. »Du hast sie hier hinaufgeschleppt. Sieh zu, wie du sie wieder loswirst. Du solltest langsam lernen, Verantwortung zu übernehmen. Ich werde mich bald höheren Aufgaben widmen müssen.«
    Milo spürte, wie sich Rubinias Hand um seine schloss und verkrampfte. Große Tränen rollten über ihre Wangen, und sie rang nach Luft.
    Der Knall der Wurfarme der Armbrust und das Surren der Sehne ließen Milo herumwirbeln. Nelf schrie auf. Ein Bolzen hatte seine Hand durchschlagen und sich in eines der Bücherregale hinter ihnen gebohrt. Nelf klemmte seine Hand unter eine Achsel und versuchte so, die Blutung zu stillen.
    Aschgrau war unterdessen damit beschäftigt, den nächsten Bolzen in die Führung der Armbrust zu legen.
    »Warum macht Ihr das, Meister Othman?«, schrie Milo den Zauberer an.
    »Warum mache ich was?«, wiederholte Othman, immer noch den Sonnenaufgang beobachtend. »Euch dabei zusehen, wie ihr sterbt? Das tue ich nicht. Ich sehe lieber zu, wie ein ganzes Land stirbt.«
    »Nein, ich meine, wie konntet Ihr zulassen, dass das Blut des Zweitgeborenen alles vergiftet? Der Hass unter den Völkern wird alles vernichten. Ceeth mùe fammamè, Ihr kanntet die wahre Bedeutung natürlich, habt aber nichts gesagt. Wir haben es trotzdem gefunden.«
    Jetzt hatte Milo doch das Interesse des Magiers geweckt. Othman trat vom Balkon zurück in den Raum und blickte Milo durchdringend an.
    »Hör mit den Spielereien auf, Aschgrau«, schnauzte er seinen Assistenten an. »Du triffst mit dem Ding ohnehin nichts.«
    Der Tunnelgnom verzog enttäuscht das Gesicht, legte die Armbrust aber beiseite.
    »Wie ich sehe, hast du einen Teil des Geheimnisses gelüftet. Tapferer, schlauer Halbling. Ich hätte dich und deinen Bruder nicht unterschätzen dürfen. Aber all euer Wissen wird euch nicht mehr helfen. Du fragst, warum ich all das hier zuließ? Du Narr! Ich habe es nicht zugelassen. Ich habe es selbst so eingefädelt. Alles, was passiert, passiert, weil ich es so gewollt habe.«
    Milo erhob sich und stellte sich trotzig vorne ans Gitter.
    »Wir haben das Geheimnis um die Götter gelüftet. Die Wahrheit ist in den Weißrindenbäumen zu finden. Jeder der will, kann es dort nachlesen. Was Ihr auch plant, sie werden es herausfinden und vereiteln.«
    »Von wem redest du?«, fragte Meister Othman lachend. »Alles, was ihr herausgefunden habt, ist das, was ohnehin jedermann gewusst hätte, wenn die Völker im Stande gewesen wären, ihre eigene Geschichte zu bewahren. Da es den meisten aber wichtiger zu sein scheint, ihre Zukunft zu planen, als aus der Vergangenheit zu lernen, war es nur eine Frage der Zeit, wann sich dieses Verhalten rächen würde. Wer immer ›sie‹ sind, die alle meine Pläne zunichtemachen sollen, es wird sie bald nicht mehr geben.«
    »Und die Rolle des Rächers wollt Ihr jetzt übernehmen?«
    »Rache ist etwas für jemanden, der keine eigenen Ziele verfolgt. Ich plane keine Rache. Ich werde etwas Großes schaffen. Etwas, das länger überdauern wird als das, was die Götter geschaffen haben. Du hast vielleicht herausgefunden, welches Schicksal die Götter auf dieser Welt ereilt hat. Das war nicht schwierig zuentdecken. Der Verrat des Zweitgeborenen ist allgegenwärtig. Das Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten, und nach und nach haben die Götter ihren

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