Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
von ihnen in Stücke gerissen zu werden. Aber alles war besser, als das, was Schrak dem Bruder von Milo angetan hatte. Durch die Gitterstäbe hindurch konnte er den kleinen Kerl gut sehen. Er stand im Nordosten der Lichtung an einen Pfahl gefesselt, den der Troll höchstpersönlich mit bloßer Hand in die Erde gerammt hatte. Der Halbling war klug genug gewesen, nicht die ganze Nacht herumzubrüllen und um Hilfe zu rufen. Wenn etwas die lebenden Toten richtig in Blutlust verfallen ließ, dann waren es hilflose kleine Kerlchen, die laut brüllten. So etwas wirkte auf sie in etwa wie ein Hühnchen in einem Heerlager, das laut rief: Iss mich .
Dorn überlegte, welche Möglichkeiten er noch hatte, als ein Knacken im halbhohen Buschwerk hinter dem Wagen ihm klarmachte, dass die Zeit für solche Grübeleien vorbei war. Er stemmte sich hoch auf ein Knie, drehte sich in die Richtung, ausder das Geräusch kam, und spähte in den morgendlichen Wald. Er brauchte nicht lange, um den Ursprung ausfindig zu machen. Irgendetwas hatte sich in einem Geflecht aus Brombeerranken verfangen und versuchte noch immer, wieder herauszukommen. Dorn konnte mit Bestimmtheit sagen, dass es sich um kein Tier handelte. Um was genau es sich handelte, konnte er aber nicht erkennen.
»Komm schon her, du Scheusal«, knurrte Dorn.
Wie zur Antwort kämpfte sich eine dunkel gekleidete Gestalt aus dem Gebüsch hervor. Es war ein Mensch, mittelgroß, schmächtig und dunkel gekleidet, wobei ein Teil des Stoffumhanges als Fetzen in den Dornen zurückblieb. Dem Mann fehlte ein Fuß, und bei jedem Schritt mit dem Stumpf drohte er zu stürzen, doch er fand immer wieder zum Gleichgewicht zurück, indem er wild mit den Armen ruderte. Gleich hinter ihm stakste eine junge Frau, so vermutete Dorn wenigstens aufgrund ihres zerrissenen Hauskleids. Das einst lockige Haar hing ihr dreckverklebt ins Gesicht. Beide waren tot, und das schon mehrere Jahre, wie Dorn vermutete.
»Keine Waffen«, brummte er enttäuscht.
Er hatte gehofft, einen Untoten anzulocken, der eine Waffe aus Stahl trug, eine Waffe, die kräftig genug wäre, das Schloss an der Tür des Wagens aufzubrechen. Diese beiden halb verwesten Exemplare wären nicht einmal in der Lage, eine Holzkiste aufzubrechen, ohne sich die Arme dabei abzureißen. Dorn rückte noch etwas weiter in die Mitte des Wagens. Ohne Waffen konnten sie ihn nicht erreichen, doch genauso wenig hatte er eine Chance, seinem Gefängnis zu entkommen.
Die beiden Untoten waren, angelockt vom Geruch eines Lebenden, schnell heran. Mit ihren Händen umklammerten sie das Gitter und rüttelten an den Stäben, dann streckten sie ihre Arme so weit hindurch, wie sie konnten. Dorn saß nur wenige Zoll von den nach ihm grapschenden Händen entfernt und gab sich alle Mühe, sie zu ignorieren. Von Augenblick zu Augenblick wurden die beiden Untoten wütender. Sie stöhnten und krächzten, schlugen mitden Armen und traten mit den Füßen. Sie waren nicht nur einfach Untote. Sie waren unkontrollierbare Bestien, verseucht durch das Blut des Zweitgeborenen, die nach nichts anderem schmachteten, als alles Leben zu zerstören.
Nach kurzer Zeit lösten sich weitere Untote aus dem Dickicht des Waldes. Das Gezeter hatte sie sicherlich angelockt. Ein halbes Dutzend hielt auf den Wagen zu. Stöhnend und schnaubend bahnten sie sich ihren Weg zum Gefängniswagen. Zwei von ihnen waren recht flink auf den Beinen und noch mit Brustharnischen und Halbhelmen gerüstete, jedoch ebenfalls unbewaffnet.
»Kommt ruhig her, ihr verrottenden Kadaver!«, brüllte Dorn sie an. »Bringen wir es endlich hinter uns. Mich hält auf dieser Welt nichts mehr.«
Mit seinen lautstarken Drohungen lockte Dorn weitere Untote herbei. Er sah, wie sie sich vom Rand der Lichtung lösten und zielstrebig auf ihn zuhielten. Was machte es schon für einen Unterschied, ob es einer, zehn oder hundert waren? Er saß in der Falle.
Plötzlich sah er im Norden der Lichtung zwei Orks, die zwischen den Bäumen hervorsprangen und auf eine untote Kreatur einschlugen, die sie aus dem Wald getrieben hatte. Mit wenigen gezielten Hieben brachten sie das Wesen zu Fall. Ungeachtet der Treffer reckte ihr Opfer die Arme nach den beiden Grünblutern und strampelte mit den Beinen. Einer der Orks kümmerte sich darum, dass ihr Gegner nicht wieder auf die Füße kam, der andere trennte mit zwei kräftigen Hieben den Kopf des Untoten ab. Dann stürmten die Grünbluter wieder zurück in den Wald, um sich ihr nächstes
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