Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
den anderen. Es war Zeit, ihr etwas zu tun zu geben, damit sie nicht in den alten Stumpfsinn zurückfiel. Mary ging hinter ihren Kisten kramen.
»Ich … da hab ich was für dich.« So, wie Mary das Päckchen in der Hand hielt, fühlte es sich an wie ein Geschenk, und fast errötete sie darüber. Sie hatte ihrer Tochter noch niemals etwas geschenkt. Southwark war kein Ort für Geschenke gewesen.
»Da war diese Frau, die was gebracht hat, in Portsmouth.« Mary holte tief Luft. »Es gehört dir.« Sie holte aus dem Stofffetzen jenes Bündelchen hervor, das Lady Rose bei ihrem Besuch auf dem Kahn der Hoffnungslosigkeit dagelassen hatte. Es war ein Knäuel rosafarbenen Seidengarns. »Wenn man ein Kind wiegt, ist die rechte Zeit, etwas Schönes zu fertigen.«
Penelope sah erstaunt hoch. Die Mutter hatte das Geschenk die ganzen langen Wochen über so zu verwahren gewusst, dass weder Schimmel noch Ungeziefer ihm etwas hatten anhaben können. Frisch und ermutigend lag die Wolle in ihrer Hand. Das Licht der südlichen Abenddämmerungstrich sanft über die Farbe und legte mit aller Behutsamkeit Erinnerungen frei, an einen weißen Salon, an hellgrüne Blätter am Spalier und an rosafarbene, duftende Blüten, die von einer zarten Frühlingssonne geküsst wurden …
Tagelang saß Penelope mit dem Wollknäuel auf ihrem schattigen Platz an Deck und strich mit der Hand über die Fäden. Strich den Duft herbei, auf der Suche nach einer Idee, die ihr helfen würde, das Garn in etwas zu verwandeln. So wie früher, als sie niemals um eine Idee verlegen gewesen war, wenn es darum ging, ein Meisterwerk aus Maschen zu schaffen. Doch das rosafarbene Garn schien sie anzulächeln und zu behaupten, der Fadenanfang sei verlorengegangen und es müsse so vollständig und vollkommen bleiben. Penelope musste über diesen Gedanken lachen, und mit einem Glücksgefühl barg sie das kostbare Knäuel in ihren Händen.
»Vielleicht kannst du das hier brauchen?«, fragte eine raue Stimme. Einer der Seeleute nutzte die Gelegenheit, da niemand sonst in seiner Nähe war, und richtete unerlaubterweise das Wort an sie. Er hatte das Tau, das er gerade aufrollte, fallen gelassen und fingerte in seiner Hosentasche herum.
»N-nein – ich brauche nichts …« Penelope rappelte sich auf und machte Anstalten davonzukriechen. Sie besaß nicht den Willen, sich den Männern so schamlos anzubieten, was andere Frauen täglich taten, wenn sie etwas haben wollten. Dieser Kerl konnte nichts Gutes im Sinn haben, und so, wie er an seiner Hose herumgriff, ängstigte er sie. Indes, sie kam nicht weit, denn er wagte es, sie am Arm festzuhalten, und sie wollte schon losschreien.
»Ich will dir doch nur was geben, Mädchen«, zischte erihr zu. »Ich hab vor ein paar Tagen schon gesehen, was für hübsches Garn du da hast. Da dachte ich …« In seiner Hand erschien eine filigrane Häkelnadel, gefertigt aus einem Vogelknochen. »Meine Mutter hat mich das gelehrt«, sagte er wie zur Entschuldigung, weil die zierliche Nadel so gar nicht in seine schwielige Hand passen wollte. »Sie häkelte Spitze –«
»Das habe ich auch getan«, unterbrach Penelope ihn hastig.
Der Seemann lächelte froh darüber, ihr eine Freude bereiten zu können. »Fein«, sagte er. »Dann häkele mir doch ein Hemd aus deiner Wolle. Oder häkele deinem Kind etwas.« Er deutete auf das kleine Deckenbündel neben ihr. »Ja, mache der Kleinen etwas. Sie lebt ja länger als ich.« Schüchtern hob er die Hand zum Gruß.
Die Nadel war hervorragend gefertigt, schimmernd und glatt poliert, und sie schien auf die rosafarbene Wolle nur gewartet zu haben. Penelope drückte ihren Schatz gegen die Brust. Den halben Nachmittag saß sie da, ohne zu beginnen, berauschte sich stattdessen an der satten Farbe und genoss das Gefühl, wie der Faden leicht und kühl durch ihre Finger hindurchlief.
Und dann begann sie zu häkeln, wie sie es früher getan hatte. Langsam und ein wenig ungelenk, weil ihre Finger durch Feuchtigkeit und den Seewind steif geworden waren, schlang sie Masche für Masche, drehte den Faden mit der zierlichen Nadel und formte aus dem Gedächtnis ein Kunstwerk, nicht größer als eine Münze, welches den Duft aus dem weißen Salon in Belgravia in ihren Schoß holte. Sie wagte es nicht, die Pfirsichblüte so üppig zu häkeln, wie Lady Rose es damals hatte haben wollen – zu schnell wäre das Garn aufgebraucht. So wurde es eine kleine Blüte mitvielen Blättern, die sich emporreckten, als wäre es
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