Der Duft der Rose
braunen Augen, und in diesem Moment stürzte ihr gesamtes Leben wie ein Kartenhaus über ihr zusammen und enthüllte mit unbarmherziger Deutlichkeit all das, was sie immer so weit von sich geschoben hatte. Die sinnlosen Jahre, die verschwendeten Gelegenheiten, die Armseligkeit ihres Daseins.
Ohne ein Wort riss sie sich los und ging, so langsam und würdevoll wie sie konnte, zum Haus. Drinnen lehnte sie sich gegen die Wand und schloss die Augen. Gedämpftes Lachen drang an ihre Ohren. Keiner von denen da draußen wusste, was Schmerz war. Sie alle lebten unbekümmert in den Tag hinein, kannten weder Kummer noch Sorgen.
Bittere Galle stieg in ihr auf, und sie biss die Zähne zusammen, während das Gelächter und die vergnügten Stimmen wie Nadelstiche ihr Herz durchbohrten. Sie ertrug es nicht länger. Sie ertrug die Freude um sich herum nicht länger und das Lachen, sie ertrug den Gedanken an all die fröhlichen Menschen nicht, sie wollte nicht, dass Jacques auch nur ihren Arm berührte, dass er sie mit seinen kindischen Phrasen quälte. Sie wollte ein eigenes Leben. Eigene Entscheidungen. Eigene Pläne. Sie wollte glücklich und unbekümmert sein, einfach in den Tag hineinleben, ohne Schmerz und ohne Bedauern. Und sie wollte sich nicht länger hilflos und ohnmächtig fühlen.
Eine Tür öffnete sich, und das zornige Greinen eines Säuglings ertönte. Ghislaine blickte auf. Ein junges Mädchen huschte mit einem entschuldigenden Lächeln an ihr vorbei. »Ich bin gleich zurück«, murmelte es undeutlich.
Ghislaine stieß die angelehnte Tür auf und trat an die Wiege. Der Säugling reckte die kleinen Fäuste und brüllte mit zornrotem Gesicht und zusammengekniffenen Augen. Sie griff nach dem Gestänge und schaukelte die Wiege leicht.
Auch diese Erfahrung würde sie nie machen. Sie würde niemals ein eigenes Kind in den Armen halten. Niemals spüren, wie Leben in ihrem Leib heranwuchs. Niemals ihre milchschweren Brüste für einen Säugling entblößen. Der Hass auf Elaine stieg heiß und unkontrolliert in ihr hoch. Warum hatten manche Frauen alles und andere gar nichts? Warum war sie selbst immer dazu verdammt, am Rande zu stehen und zuzusehen, wie andere glücklich wurden? Warum konnte nicht einmal ein anderer unglücklich sein? Warum immer nur sie? Hatte sie kein Recht darauf, ein Zipfelchen vom Glück zu erhaschen? War das Schicksal blind für ihre Not? Elaines Gesicht entstellten Narben, sie war nichts als eine dahergelaufene Streunerin ohne Namen, ohne Vermögen und ohne Besitz. Trotzdem hatte Troy sie zur Frau genommen. Trotzdem liebte Troy sie ganz offensichtlich mit jeder Faser seines Herzens. Und als wäre das nicht genug, hatte es dem Schicksal gefallen, den beiden ein Kind zu schenken. Weit und breit gab es keinen Schatten auf diesem Glück, während ihr eigenes Leben seit Ewigkeiten im Dunklen lag und immer liegen würde.
Sie wusste nicht, woher das Kissen kam, das sie plötzlich in den Händen hielt. Und woher der Antrieb, dieses Kissen auf das Gesicht des brüllenden Säuglings zu senken. Sie beobachtete sich selbst dabei, als wäre sie eine Fremde. Eine Handbreit noch, dann würde das Kissen auf dem Gesicht des Säuglings liegen und sie brauchte nur noch ein wenig zuzudrücken, um Elaine spüren zu lassen, wie sich Unglück anfühlte. Und wie flüchtig das Glück doch war ... Endlich einmal jemand anderen leiden zu sehen, endlich einmal die Genugtuung zu haben, dass jemand anderer unerträgliche Schmerzen ertragen musste.
Ihr Arm wurde festgehalten und das Kissen aus ihren steifen Fingern gezogen. In ihren Ohren summte es. Sie hob den Kopf, noch immer in Trance, wie in einem Traum gefangen. Die Züge über ihr blieben verschwommen, waren nicht klar zu erkennen, als blickte sie durch beschlagenes Glas. Es musste ein Mann sein, denn der stählerne Griff um ihren Oberarm schnitt ihr ins Fleisch, als sie weggezerrt und in einen Stuhl gedrückt wurde.
Ghislaine blinzelte. Das Summen in ihren Ohren verstummte und wurde durch das schrille Gezeter des Säuglings ersetzt. Elaine trat an die Wiege und hob den Jungen hoch.
»Schsch, mein Kleiner, alles wird gut«, redete ihm Elaine beruhigend zu, und tatsächlich verebbte das Geschrei. Während sie ihm den Rücken streichelte, trat sie auf Ghislaine zu. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Madame du Plessis-Fertoc? Ihr seht so blass aus.«
Ghislaine räusperte sich. »Danke. Es ... es geht schon. Die Hitze setzte mir zu ... ich ... wollte ...« Sie brach ab, da sie
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