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Der Duft der Rose

Der Duft der Rose

Titel: Der Duft der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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merkte, dass ihr ein Stück Erinnerung fehlte. »Der Mann ... wer ist er ...«
    »Welcher Mann?«, fragte Elaine stirnrunzelnd.
    Ghislaines Mund schmeckte sandig, und sie hatte Mühe, die folgenden Worte deutlich auszusprechen. »Der gerade hier war. Ihr müsst ihn doch gesehen haben.«
    »Ein fremder Mann? Hier? Hat er Justin etwas getan? Weint er deshalb?«, fragte Elaine alarmiert.
    Ghislaine schüttelte den Kopf. »Nein. Er ... er ...« Sie presste die Lippen aufeinander und massierte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. »Vielleicht hab ich auch nur geträumt ... die Hitze ... entschuldigt ... ich wollte Euch nicht ängstigen«, setzte sie matt hinzu.
    »Ich lasse Euch eine Erfrischung bringen. Vielleicht wollt Ihr Euch ja kurz hinlegen und Euer Korsett lockern.« Elaine wartete ihre Antwort nicht ab, sondern trat hinaus auf den Flur, um alles Nötige zu veranlassen.
    Zitternd atmete Ghislaine ein. Natürlich, die Hitze und das enggeschnürte Korsett hatten ihr Hirngespinste vorgegaukelt. Nichts von all dem war geschehen, sie hatte geträumt. Ein schlimmer Tagtraum, geboren aus der Anspannung, die auf ihr lastete. Erleichterung durchflutete sie, und der Druck in ihrer Brust verflüchtigte sich. Doch dann fiel ihr Blick auf den dunklen Holztisch, der mitten im Zimmer stand. Darauf lag ein mit weißem Batist bezogenes Kissen.

1
    Henri betrachtete Vincents feingliedrige Finger, die eindeutig provokant am Stiel des Weinglases auf- und abfuhren. Eine spielerische Bewegung, während er mit seiner Tischnachbarin plauderte. Erst als sich Henri zurücklehnte und dabei Vincents Blick auffing, begriff er, dass sein Gefährte ihn mit dieser nach außen hin harmlosen Geste daran erinnern wollte, wie sehr er sich seiner Gegenwart auch inmitten all der fröhlichen Menschen bewusst war. Und wie immer verfehlte dieser Wink seine Wirkung nicht.
    Henri räusperte sich und trank sein Glas leer. Kleine, unauffällige Gesten inmitten der Öffentlichkeit gehörten zu Vincents Spezialitäten. Er schuf intime, nur für sie beide erkennbare Momente und fachte damit die Leidenschaft unter der kühlen Oberfläche des äußeren Scheins an. Außerdem war es ein sicheres Zeichen dafür, dass Vincent anfing, sich zu langweilen.
    Henri ließ den Blick die Tafel entlang zu Ghislaines Platz wandern. Da das Fest bis in die späte Nacht dauern würde, hatte er das Angebot seiner Schwester angenommen, bei ihr zu nächtigen, statt nach Belletoile zurückzukehren. Zusätzlich hatte er so die Gelegenheit, Zeit mit ihr zu verbringen und sie über eine getroffene Entscheidung in Kenntnis zu setzen.
    Ghislaines Platz war leer. Jacques schwatzte mit der alten, stocktauben Marquise de Potignac, die zu seinen Worten nur weise nickte. Auch Elaine fehlte. Henri runzelte die Stirn. Vielleicht war es ja nur ein Zufall, denn er nahm nicht an, dass Troy Elaine vom einstigen Verhältnis mit seiner Schwester berichtet hatte. Doch ein Skandal war das Letzte, was dieses Fest überschatten sollte.
    Er stand auf. »Ich sehe nach, wo Ghislaine bleibt.«
    Vincent nickte. »Möchtest du schon gehen?« Seine Augen schimmerten wie polierte Jade, und ein Lächeln kräuselte seine Lippen. »Ich bin dabei.«
    »Zu früh. Viel zu früh, mon petit.« Henri wandte sich ab, ehe sie noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ihre Beziehung war zwar bekannt, aber nicht jeder schätzte ihre öffentliche Zurschaustellung, und obwohl ihm solche Rücksichtnahme sonst fern lag, wollte er um Troys und Elaines willen das Fest nicht durch Streitigkeiten verdorben wissen. Er trat zur geöffneten Terrassentür und sah Elaine mit Justin auf dem Arm auf sich zukommen. Ihr beschwingter Schritt zerstreute seine Befürchtungen.
    »Monsieur de Rossac wünscht an den Feierlichkeiten zu seiner Taufe höchstpersönlich teilzunehmen.« Sie rückte das Spitzenhäubchen des Säuglings zurecht. »Und natürlich kann ich ihm diesen Wunsch nicht abschlagen.«
    »Ein herrischer kleiner Bursche.« Henri streckte ihm einen Finger entgegen, den das Kind prompt umschloss. »Ich suche meine Schwester. Habt Ihr sie vielleicht gesehen?«
    »Madame du Plessis-Fertoc möchte ein wenig ruhen, die Hitze setzt ihr sehr zu. Ich habe angeordnet, dass man ihr Limonade bringt. Sie befindet sich im salon d'orient.«
    »Danke.« Er entwand Justin seinen Finger und setzte seinen Weg in die angegebene Richtung fort. Vor den beiden Türen blieb er stehen. Die nach der Renovierung von La Mimosa neu benannten Räume waren ihm nicht

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