Der Duft der roten Akazie
ihre nackten Füße den harten Erdboden berührten, gaben ihr die Knie nach, sodass er sie ungeschickt stützen musste.
»Wolf!«, pfiff Adam den Hund zurück. »Ist sie verletzt?«, fragte er dann.
»Jemand hat ihr ordentlich eins übergebraten. Vermutlich Straßenräuber. Sie haben sie einfach niedergeschlagen und in Seaton’s Lagune geworfen. Oder wenigstens dicht daneben. Als sie hinauf zur Straße gekrochen ist, habe ich sie gefunden. Hätte sie beinahe über den Haufen geritten.«
»Kennst du sie?«, erkundigte sich Adam.
»Klingt wie eine Schottin. Habe sie noch nie in dieser Gegend gesehen.«
Obwohl es sie gewaltige Anstrengung kostete, den Kopf zu heben, musste sie einfach sehen und nicht nur hören, was um sie herum vorging. Während Harvey seinen Freund besorgt betrachtete, wurde sie von Adam gemustert. Er war mittelgroß und kräftig gebaut. Blondes Haar fiel ihm strähnig über die Schultern; ein Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts. Er war zwar jünger als sein Begleiter, wirkte aber ebenso ungehobelt und schmutzig. Wie ein fahrender Händler, dachte sie. Er hatte auch die dunklen, flinken und klugen Augen eines Menschen, der ständig unterwegs ist.
Offenbar brauchte er nicht lange, um sich ein Bild von der Lage zu machen. »Ich kümmere mich um ihren Kopf«, verkündete er, hakte sie unter und nahm sie Harvey ab. Kurz ängstigte sie ihre eigene Hilflosigkeit, und sie wehrte sich gegen den Griff des Fremden. »Ich tue Ihnen nichts«, flüsterte er ihr ins Ohr, worauf sie sich nicht mehr sträubte und sich an ihn lehnte.
»Du musst die Wunde reinigen«, merkte Harvey sachlich an. »Salz genügt, wenn du nichts anderes dahast. Von Kopfwunden lasse ich lieber die Finger. Man weiß nie, ob es drinnen weitere Schäden gegeben hat, die man nicht sehen kann. Vielleicht sollten wir sie besser zu einem Arzt bringen.«
Adam würdigte ihn kaum eines Blickes. Er führte sie zum Lagerfeuer und hielt sie an den Armen fest, damit sie sich neben ihn setzen konnte. Sofort wurde ihr viel wärmer. Bis jetzt hatte sie gar nicht bemerkt, wie durchgefroren sie war, und sie schauderte. Nachdem Adam einen Kessel mit Wasser in die Glut gestellt hatte, holte er ihr eine Decke.
»Kommst du allein zurecht, mein Junge?«, fragte Harvey. Er beobachtete sie und trat dabei von einem Fuß auf den anderen.
»Ja, ich schaffe das schon. Dafür ist sie dir etwas schuldig, Harvey.«
Harvey murmelte verlegen eine Antwort. »Dann reite ich jetzt zum Gasthof«, fügte er, ein wenig lauter, hinzu. »Ich habe mich so auf ein Glas gefreut und keine Lust, bis morgen zu warten.« Er leckte sich die Lippen, um seine Worte zu bekräftigen.
Sie richtete sich auf. »Danke, Mr Harvey«, stieß sie mühsam hervor.
Harvey schenkte ihr ein zahnloses Lächeln. »Du bist ein Glückspilz, Adam.«
Sie fand diese Bemerkung reichlich seltsam. Einen Mann, der eine verletzte Frau mit Gedächtnisschwund am Hals hatte, konnte man wohl kaum als Glückspilz bezeichnen. Sie schloss die Augen. Die beiden Männer unterhielten sich, allerdings so leise, dass sie nichts verstand. Wolf, der Hund, näherte sich, schnupperte neugierig an ihrem Rock und ließ sich dann mit einem Seufzer am Feuer nieder. Sie hörte, wie Harveys Pferd sich in der Dunkelheit entfernte und rasch in Galopp verfiel. Dann trat der fahrende Händler – Adam – ans Feuer, und ihr wurde klar, dass er den kochenden Wasserkessel von der Glut nahm.
Mühsam öffnete sie die Augen einen Spaltweit, um ihn zu beobachten. Er streute etwas, das wie Salz aussah, ins Wasser und rührte um, damit es sich auflöste. »Um Ihre Wunde zu reinigen«, erklärte er, ohne aufzuschauen. »Hat Harvey Ihnen etwas zu trinken gegeben?«, fügte er mit einem raschen Seitenblick hinzu.
Als sie den Kopf schüttelte, ging er zu einem Deckenbündel am Boden, offenbar sein Nachtlager, hinüber und kehrte mit einer Wasserflasche zurück, die er ihr hinhielt. Sie setzte die Flasche an und schluckte die kühle, brackige Flüssigkeit. Es schmeckte himmlisch, doch als sie weitertrinken wollte, nahm er ihr die Flasche ab.
»Das genügt für den Moment. Wenn Sie zu viel trinken, kommt vielleicht alles wieder hoch.«
Er stellte die Flasche weg und steuerte auf den Karren zu, worauf Wolf sich aufrappelte und hinter ihm hertrottete. Sie starrte gebannt ins Feuer und beobachtete seine sich ständig verändernden Farben. Erst züngelten die Flammen golden und orangerot, dann wieder loderten sie in einem zornigen
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