Der Duft des Bösen
sondern auch Zeinab. Und das war’s dann auch schon. Immer dasselbe. An Morton Phibling hätte sie gewiss keinen zweiten Blick verschwendet, trotzdem wäre eine Frau ihres Alters für ihn die wesentlich bessere Wahl gewesen als ein zwanzigjähriges Mädchen. Darin hätte ihr jede vernünftige Frau zugestimmt. Männer sahen das leider nie so.
Vor ihr lag ein langer Sonntag. Die Woche über versagte sie sich ein Eingeständnis ihrer Einsamkeit, aber sonntags war sie ganz allein und auf sich selbst angewiesen. Es sei denn, Freunde luden sie mittags oder abends zum Essen ein, oder sie raffte sich selbst zu einer Einladung auf. Vielleicht sollte sie sich darum öfter bemühen, auch wenn sie dann kochen und sich herrichten musste. So würde der Tag mit Waschen und Bügeln und Staubsaugen dahingehen. Und wenn es nicht kalt wurde, mit einem Spaziergang am frühen Abend durch den Park oder die Bayswater Road entlang, wo die Pärchen im Kerzenlicht Händchen haltend an den Tischen saßen. Und nach der Rückkehr – vielleicht sogar anstelle eines Spaziergangs – die Videos. Jene zwölf Stunden mit Filmen, die ihr kostbarster Besitz geworden waren.
Wie bei den meisten Schauspielern, mit Ausnahme der Spitzenleute, hatte es für Martin lange Zeitabschnitte ohne Engagement gegeben. Dann hatte er Sprechunterricht erteilt, bei Sainsbury’s Regale aufgefüllt oder, auf dem Tiefstpunkt, Wohnungen geputzt. Als er ein großer Star wurde, erinnerten sich einige Leute, für die er gearbeitet hatte, an ihn und posaunten herum: »Sie werden’s nicht glauben, aber Martin Ferry hat früher mal bei uns geputzt.« Um ein Haar hätte er sich nicht einmal die Mühe gemacht, für die Rolle des Chief Inspector Jonathan Forsyth vorzusprechen, aber ein Freund trieb ihn dazu an. Es war derselbe Freund, der ihn eine Woche zuvor mit Inez bekannt gemacht hatte. Martin war gerade mitten im Scheidungsprozess von seiner ersten Frau, Inez hatte sich eben von Brian scheiden lassen. Mit einem Telefonat brachte er sich wieder bei ihr in Erinnerung, lud sie ein und erzählte ihr, er werde für die Hauptrolle in einer neuen Detektivserie vorsprechen. Allerdings solle sie ihm nicht die Daumen drücken. Er hege keinen Funken Hoffnung, dass er die Rolle bekäme.
Sogar als er sie bekam und die Proben begonnen hatten, setzte man keine großen Hoffnungen in diese Serie. Die Bücher, auf denen sie basierte, ließen sich kaum als Bestseller bezeichnen. Inez hatte ein paar davon gelesen und hielt sie für schlecht geschrieben und nicht überzeugend. Aber entweder hatte sie ein guter Drehbuchautor umgeschrieben oder Martins charismatischer Auftritt als Forsyth beförderte sie im Handumdrehen an die Spitze der Zuschauerquoten. Binnen drei Monaten nach Ausstrahlung der ersten sechs Folgen war sein Name ein Begriff. Inez dachte, er würde sie garantiert fallen lassen und sich eine suchen, die seinem eigenen neuen Status besser entspräche, eine Jüngere, die ebenfalls im Showbusiness tätig wäre. Stattdessen bat er sie um ihre Hand.
Er besaß nichts und hatte in einer Mietwohnung gelebt, aber unmittelbar vor der Hochzeit kaufte er das Haus in der Star Street. Sie bezogen die oberen drei Stockwerke. Das längst nicht mehr genutzte Ladenlokal machten sie dicht. Der Spruch von einer glücklichen Ehe, wie ihn manche ihrer Bekannten im Munde führten – »Ach, Inez ist glücklich verheiratet, nicht wahr?« – war pure Untertreibung und Herabsetzung. Sie waren im Siebten Himmel. Dies war eine jener atemlos-leidenschaftlichen Lieben, die nie, nie von Dauer sind, wie sie sie nur ganz junge Menschen erleben und auch dann nur für kurze Zeit. Für sie dauerte sie genau von ihrer Hochzeit auf dem Standesamt Marylebone bis zu jenem Tag, als Martin einen Herzinfarkt erlitt und starb. Der schlanke, große, sportliche, enthaltsame Martin, der nie eine Zigarette geraucht hatte, bekam mit sechsundfünfzig Jahren einen Herzinfarkt und starb binnen Minuten.
Das Haus und seine beträchtlichen Ersparnisse fielen an Inez. Sie legte keinen Wert darauf. Sogar wenn er ihr nichts hinterlassen und ein Dieb ihren gesamten Besitz gestohlen und sie zu den Pennern auf den Gehsteig hinausgejagt hätte, wäre es ihr egal gewesen. Nichts konnte schlimmer sein, als Martin zu verlieren, und dagegen gab es keinen Trost. Jedenfalls dachte sie das damals. Als sie die zwölf Videos von »Forsyth« unter seinen Sachen fand, zuckte sie zusammen. Warum hatte sie sie nicht zum Sperrmüll hinausgelegt?
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