Der Duft des Bösen
das ist altmodisch. Deshalb haben wir ihm einen neuen Namen gegeben. Möchten Sie es probieren?«
Er sah zwar den Namen in Goldlettern, las ihn aber nicht, sondern murmelte kopfschüttelnd: »Nein, danke.« Zu spät. Schon hatte sie ihm einen Strahl über die Hände gesprüht, die er abwehrend erhoben hatte. Die Wirkung war verheerend. Er trat zurück. Während der Duft seine Nase attackierte, spürte er, wie ihn ein Erdbeben von Kopf bis Fuß erschütterte. Seine erste Reaktion sollte ihm nie richtig bewusst werden. Er wusste nur, dass er einen Schrei ausgestoßen hatte, dem ein paar erstickte Wörter folgten, doch dann hob sich der Boden wie ein Lift. Er sank hindurch, als bestünde dieser aus zähem, klebrigem Gelee. Puddingwände schlossen sich um ihn, und er wurde ohnmächtig.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer Art Behelfsbahre, auf der man ihn aus der Abteilung trug. Er ließ die Augen zu, hielt sich ganz still und mimte weiter den Bewusstlosen. Er wollte gar nicht wieder aufwachen, wollte weder reden noch sich befragen lassen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn das Leben restlos erloschen wäre und nur noch die lange Ruhe danach bliebe.
Leider hatte er, wie vorige Nacht, keine Wahl. Man hatte die Bahre abgestellt. Mühsam rappelte er sich in eine sitzende Position und sah, dass man ihn in ein Büro gebracht und dort mit dem unbekannten Trageobjekt über zwei Stühle gelegt hatte. Eben beugte sich ein Mann über ihn und wollte wissen, ob er einen Arzt rufen solle. Er brauche keinen Arzt, sagte Jeremy. So ein Vorfall sei bei ihm normal, log er, eine Art Epilepsie. Allerdings sei es bisher noch nie in der Öffentlichkeit passiert. Ob er irgendetwas bräuchte? In dem Moment brachte ihm eine Frau ein Glas Wasser. Plötzlich merkte er, dass er brennenden Durst hatte, und trank es in einem Zug aus.
»Ich habe«, sagte er, »ein Parfüm namens Turmalin gesucht …«
»Nichts leichter als das«, sagte die Frau und war binnen zwei Minuten mit einer roten Schatulle wieder da, auf der seitlich in Gold der Name gedruckt stand.
Jeremy bezahlte dafür und ließ sich von ihnen ein Taxi rufen. Wie er sich in seinen Sitz zurücklehnte, ertappte er sich dabei, dass er immer wieder stumm den Satz auf einer kleinen Plakette vor ihm wiederholte: Bitte nicht rauchen, bitte nicht rauchen. Immer wieder sagte er ihn sich vor, er konnte einfach nicht aufhören. Beim Aussteigen sagte er sogar laut zu dem Fahrer: »Bitte, nicht rauchen – äh, Entschuldigung –, ich meine, wie viel macht es?«
Der Mann warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, entweder, weil er ständig diesen Satz wiederholte, der für ihn zum Mantra geworden war, oder den Fahrer irritierte der Grund, warum man Jeremy ein Taxi bestellt hatte. Männer wurden nicht ohnmächtig. Frauen vielleicht schon, aber Männer doch nicht.
Warum dann er? Obwohl er die Antwort darauf wusste, musste er erst noch über alles nachdenken. Er musste auf seinen Dachgarten und nachdenken.
Die Erinnerung an das, was ihm widerfahren war, als sein Vater starb, war ihm in den wenigen Augenblicken zwischen dem Einatmen des Duftes und dem Eintreten der Bewusstlosigkeit wieder gekommen, nicht in aller Vollständigkeit, aber immerhin an die wesentlichen Ereignisse. Weder war er der Illusion erlegen, in rasendem Tempo einen Film ablaufen zu sehen, noch hatte er das Lieblingsmärchen alter Weiber erlebt, dass sein ganzes Leben wie der Blitz an seinen Augen vorbeigezogen wäre. Wie er nun zwischen seinen Blumen unter einem milden blau-weißen Himmel saß, dachte er aber doch an den Dreizehnjährigen, der er damals gewesen war: bereits sehr groß, schon gut entwickelt, mit der verhassten Zahnspange im Mund. Er begleitete eben seine Mutter ins Krankenhaus, wo sein Vater mit Lungenkrebs im Endstadium lag. Sein ganzes Leben hatte Douglas Gibbons geraucht, genau wie damals auch seine Frau und heute noch seine Witwe, die inzwischen Ende sechzig war und offensichtlich kerngesund. Damals war sie jung und vor Kummer ganz verzweifelt gewesen. Immer wieder hatte sie ihrem Sohn erzählt, bald werde er ihr einziger Lebenssinn sein.
Ihre Reaktion auf diese Krankenbesuche wurden von Mal zu Mal heftiger. Zum Zeitpunkt dieses Besuches – ihr Mann war bereits vom Morphium betäubt – stand sie kurz davor, hysterisch zu werden. Seinen Sohn erkannte er und brachte es sogar fertig, ihn matt und verzerrt anzulächeln, seine Frau jedoch schien er nicht mehr zu kennen. Während sich seine
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