Der Duft des Bösen
nicht einmal in der nächsten Woche, aber um den zehnten oder elften Juni herum sollte er sich auf einen Anruf einstellen. In dieser Nacht fand er keinen Schlaf mehr, obwohl nur das eingetreten war, was er befürchtet hatte, seit er das Päckchen vom Containerdeckel gelöst hatte. Doch er fügte sich in die Unvermeidlichkeit der Dinge. Er hätte unmöglich im Bett bleiben und weiterschlafen können, statt aufzustehen und darüber zu grübeln, wie er ihre erste Forderung hätte verweigern können. Aber er hatte keine Wahl. Was jetzt auf ihn zukam, waren seine Ängste davor, dass für ihn der helle Tag sich neige und er von nun an ins Dunkel gehe.
All das ging ihm auf seinem Weg durch die Star Street durch den Kopf. Dann bog er Richtung Sussex Gardens ab, womit er sich für einen schöneren, wenn auch längeren Weg zur Oxford Street entschied als durch die Edgware Road. Bäume gab es hier, die sich an der Schwelle zum Sommer unter dichtem Laubwerk bogen, und Blumenkästen an Georgianischen Häusern und Blumentröge vor schicken kleinen Pubs. Ins Gefängnis würde er nie gehen, vorher würde er sich umbringen, aber beim Gedanken an seine Mutter, die für immer seiner beraubt wäre, verließ ihn ein wenig der Mut.
Nur um das von ihr gewünschte Parfüm zu kaufen, war er hierher gekommen. Turmalin hieß es. Der Name irgendeines Halbedelsteins, hatte er gedacht, aber es müsse auch eine große Herausforderung sein, sich neue Namen für Düfte auszudenken. Schließlich gab es so viele auf dem Markt. Zwischen Marble Arch und Circus befanden sich in der Oxford Street vier große Kaufhäuser. Am nächsten lag »Selfridges«. Mit dem würde er beginnen.
Sein letzter Besuch hier war lange her. Seither hatten sich die Parfüm- und Kosmetikabteilungen gewaltig vergrößert. Was die verschiedenen Düfte und Schönheitsmittel für die Damenwelt betraf, so hätte er sich nie für gut informiert gehalten, aber die großen Namen waren ihm vertraut. Einige davon gab es immer noch. Jene Firmen allerdings, die seine Mutter während seiner Kindheit bevorzugt hatte, waren verschwunden oder ihre Stände waren geschrumpft und man hatte sie in eine Ecke verbannt. Überall schienen neue Namen auf. Von jeder Wand und jeder Säule lächelten ihn auf Fotografien die schönsten Frauen und Mädchen der Welt an oder zeigten ihm ihren Schmollmund. Ihre makellose Haut, ihr glänzendes Haar ließen ihn kalt. Er hegte weder den Wunsch, sie zu küssen noch den, sie zu töten.
Aber verwirrt war er. Frauen, die grundverschieden von den Models der Kosmetikfirmen waren, wanderten schaulustig herum oder strebten entschlossen einem bestimmten Ziel zu. Nur er fühlte sich wie im Traum in einem geheimnisvollen Warenhaus verloren und hatte keine Ahnung, wo er hingehen geschweige denn, wonach er suchen sollte. Nur eines war ihm geblieben, jener flüchtige Name – Turmalin. Beim letzten Parfümkauf für seine Mutter hatte er im Fenster einer Parfümerie am Ende der Edgware Road, kurz vor Marble Arch, das Gewünschte gesehen. Er war hineingegangen, hatte darauf gedeutet und gesagt, das da wolle er haben. Vielleicht hätte er auch diesmal in einen kleinen Laden gehen und der Verkäuferin ein Stück Papier zeigen sollen, auf dem der Name stand.
Nirgendwo gab es Turmalin. Er würde die Oxford Street weiter hinaufgehen und es im nächsten Kaufhaus versuchen. Diesmal würde er fragen, statt einfach herumzuwandern. Er ging auf den nächsten Ausgang zu, besser gesagt, er versuchte es. Stattdessen verstellte ihm eine Gruppe junger Frauen den Weg, die reglos ein Mädchen auf einem hohen Stuhl anstarrten, das sich gerade von einer Visagistin das Gesicht schminken ließ. Nachdem er sich ungeduldig einen Weg zwischen ihnen hindurch gebahnt hatte, war er bei einem relativ leeren Stand mit Uhren und Schmuck herausgekommen. Dahinter lag der Ausgang zur Straße. Doch kaum hatte es den Anschein, er könne nun ohne weitere Behinderung die Tür erreichen, trat ihm eine junge orientalische Schönheit mit langen schwarzen Haaren in den Weg, hielt eine Sprayflasche hoch und fragte ihn, ob er vielleicht diesen besonderen Duft einmal ausprobieren möchte. Es sei ein altes Parfüm, das es jahrelang nicht mehr gegeben habe, aber auf Grund häufiger Nachfragen habe sich der Parfümeur vor zwei Jahren zu einer Wiederaufnahme der Herstellung entschlossen.
»Wegen der allgemeinen Nachfrage«, sagte sie mit ihrer verführerisch klingenden Stimme. »Früher hieß es einmal ›Yes‹, aber
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