Der Duft des Bösen
Nummer 36 ins Schloss und rief laut: »Hi, Kiddies, bin da!«
4
Eine Einladung auszuschlagen, war für Will derart untypisch, dass Becky ihren Ohren kaum trauen wollte. Trotzdem fühlte sie sich außerstande, ihn nach dem Grund zu fragen. Ihre Schuldgefühle hatten ihre Verständnisbereitschaft noch verstärkt. Jeden anderen potenziellen Gast hätte sie ja auch nicht gefragt, warum also ihn? Nachdem er gesagt hatte, er könne am Samstag nicht kommen, herrschte am anderen Ende der Leitung Schweigen, ein angenehmes, wohl tuendes Schweigen, dennoch war und blieb es ein Schweigen.
»Warum kommst du dann nicht am Freitagabend herüber?« Freitagabends war sie immer restlos fertig. Jeden anderen, ob Mann oder Frau, hätte sie in ein Restaurant einladen können, aber Will würde so etwas nicht mögen. Er mochte die häusliche Umgebung mit den vertrauten Dingen und ebenso vertrautem Essen. »Wenn du es schaffst, allein herzukommen, bringe ich dich heim.«
»In Ordnung«, sagte er und fügte auf seine Art wie ein Zehnjähriger hinzu: »Wenn du wirklich willst, könnte ich am Samstag kommen, wenn ich um fünf gehen kann und mich fertig machen kann.«
Sie konnte der Versuchung nicht länger widerstehen. »Will, wohin gehst du denn?«
»Ich gehe mit einer jungen Dame ins Kino.«
Ihr Erstaunen, dass er ihre Einladung ausschlug, war nichts im Vergleich zu dem Schock, den dieser Satz auslöste. Sie versuchte, sich ihre Verblüffung nicht anhören zu lassen. »Wie nett.« Ob er ihr erzählte, um wen es sich handelte?
»Sie ist die Schwester von Keith. Sie heißt Kim. Sie ist zu uns in die Arbeit gekommen und hat gesagt: ›Will, kommst du mit ins Kino?‹ Und ich sagte: ›Ja, gerne‹, weil Keith mir erzählt hat, dass der Film gut ist und es um einen vergrabenen Schatz geht.«
Das Ganze hörte sich sehr so an, als hätten es die beiden ausgebrütet, Keith und diese Kim. Aber warum auch nicht? Die Sache wirkte harmlos. Rein physisch war Will ein normaler junger Mann mit den Bedürfnissen eines normalen jungen Mannes. Sollte er nie sexuelle Erfüllung und die Gesellschaft einer netten Frau erleben, nur weil er das hatte, was manche Ärzte als »Fragiles X-Syndrom« bezeichneten? Diese Frage war ihr bereits vor einigen Jahren in den Sinn gekommen, allerdings mehr als abstrakte Idee und nicht als echtes Problem, das demnächst bevorstand. Wenn sie konkret an eine mögliche Freundin dachte, dann an eine junge Bekannte aus einer Tagesstätte, die wie er behindert wäre. Allerdings ging er nicht mehr in Tagesstätten …
»Ich komme am Freitag«, sagte er. »Gibt’s Spaghetti und Schoko-Käsekuchen?«
»Natürlich.«
Sie informierte sich über den Film im Kinoprogramm, das im »Guardian« abgedruckt war. Den musste Will gemeint haben, »Der Schatz in der Sixth Avenue«. Das Programm gab ihm drei Sterne und wies darauf hin, dass er für die Altersgruppe ab zwölf geeignet sei. In ein paar ironischen Zeilen stellte der unbekannte Verfasser dieser Mini-Besprechungen fest, der Film sei wohl eher für alle unter zwölf gedacht. Ein lächerliches Abenteuerfilmchen über zwei Männer und ein Mädchen, die im Hinterhof eines Gebäudes in einer nicht näher definierten amerikanischen Stadt geklaute Tiffany-Juwelen vergruben. Es klang völlig harmlos, und genau das bereitete Becky am meisten Kopfzerbrechen.
Sie brachte Will wieder in die Star Street und begrüßte Inez kurz, wobei sie deren Angebot auf einen Drink ausschlug; sie müsse noch fahren. Nachdem sie Will also glücklich bei Inez vor dem Fernseher abgesetzt hatte (Inez hatte großen Wert darauf gelegt, Will dazu einzuladen), machte sich Becky auf den Heimweg. Hoffentlich kämen keine Gewaltszenen vor, über die sich Will ängstigen könnte. Doch ihres Wissens lag der Schwerpunkt der Serie, die sich die beiden anschauten, bis auf die unvermeidliche Autojagd mehr auf dem Landleben als auf temporeichen Actionszenen.
Vielleicht war dieser neue Zug an Will, nämlich dass er mit einem Mädchen ausging, das Beste für ihn und – für sie. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich ausmalte, wie sie die beiden zum Lunch oder zum Abendessen einlud. Vielleicht sogar eine Hochzeit. Und das Mädchen – Becky hoffte inständig, dass es ein nettes Mädchen war – würde Will davon abhalten, so viel Zeit mit seiner Tante zu verbringen. Besuche sind ja schön und gut, würde die Braut vielleicht sagen, aber nicht zweimal pro Woche. Becky möchte sicher ihr eigenes Leben haben. Jetzt
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