Der Duft des Bösen
fiel ihr wieder ein Tag vor einigen Jahren ein, an dem Will wissen wollte, ob sie verheiratet sei. Sie hatte keine Ahnung, wie er darauf gekommen war. Nachdem sie verneint hatte, meinte er: »Ich würde dich gern heiraten.«
Das war wieder eine jener Gelegenheiten, bei denen ihr das Herz stehen blieb. Am liebsten hätte sie stöhnend die Augen zugemacht. »Will, ich bin deine Tante«, hatte sie gesagt. »Tanten kann man nicht heiraten.«
Er ging gar nicht darauf ein. »Dann könnten wir zusammenwohnen. Wir könnten uns ein großes Haus nehmen, in dem wir beide Platz haben.«
»Das geht nicht«, hatte sie gesagt, obwohl Letzteres durchaus denkbar war.
Sie bildete sich ein, er hätte traurig ausgesehen, und genau das brachte sie ins Grübeln. War schon jemals ein anderer Mann traurig gewesen, weil sie ihn nicht heiraten wollte? Ihres Wissens nicht. All das käme vielleicht wieder in Ordnung, wenn dieses Mädchen gut zu ihm wäre und ihn vielleicht sogar lieben würde. Und sie, Becky, hätte ihre Freiheit wieder. Genüsslich malte sie sich Urlaube ohne Will aus und Samstage ohne einen Hauch von Schuldgefühl, weil sie wusste, dass Will glücklich war. Momentan hatte Will bis auf Monty keinerlei Freunde, und auch den trieb eindeutig eine Art Pflichtgefühl an. Und sie wurde langsam immer älter und war allein, ohne Partner. Wenn Will seine Liebe einer anderen Frau zuwenden würde, bräuchte Becky vielleicht nicht wie Inez Ferry zu enden, deren einzige Unterhaltung in Fernsehabenden mit einem Mieter bestand.
Kaum war Becky fort, tat Inez genau das, was sie eigentlich vorgehabt hatte, bevor sie Becky und Will spontan hereinbat. Sie schaltete das reguläre Fernsehprogramm aus und legte ein »Forsyth« -Video ein. Will war anders als die anderen, er würde daran nichts merkwürdig, sentimental oder peinlich finden. Diesmal handelte es sich um eine Folge, in der Forsyth einem Serienmörder von jungen Mädchen auf der Spur war. Ganz ähnlich wie bei den Rottweiler-Morden, dachte Inez. Allerdings sah man im Film weder die Morde selbst noch sonst etwas Grausames. Will wollte von ihr wissen, wo das spiele, ob es hier in der Nähe sei. Da er in Plauderlaune zu sein schien, legte sie einen Finger auf die Lippen und sagte: »Psst, Will, nicht jetzt. Lass uns den Film anschauen.«
Trotz seiner misstrauischen Miene fügte sich Will. »Das hat mir gefallen«, sagte er nach dem Abspann.
»Freut mich«, erwiderte Inez. »Den Chief Inspector Forsyth hat mein Mann gespielt.«
Obwohl Will Schwierigkeiten hatte, sich das vorzustellen, schien er es nach einiger Mühe, die sich in Stirnrunzeln und Schmollmund äußerte, zu begreifen. »Er hat so getan, als wäre er dieser Mann?«
»Ganz genau. Er hieß Martin Ferry.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er ist gestorben, Will.«
»War er nett?«
»Sehr nett. Du hättest ihn gemocht.«
Inez war restlos erstaunt, als Will seine Hand auf ihre legte. »Wenn Sie ihn gemocht haben, tut es mir Leid, dass er gestorben ist.«
Eigentlich kann ihm nichts wirklich Wichtiges fehlen, wenn er so etwas sagen kann, ging es Inez durch den Kopf. Dabei wurde ihr so warm ums Herz, dass sie ihn am liebsten in die Arme genommen hätte, was selbstverständlich unmöglich war. Schließlich war er ein junger Mann und kein Kind. Ihr wurde bewusst, dass sie an diesem Tag zum ersten Mal einen »Forsyth« -Film in fremder Gesellschaft angeschaut hatte. Und doch war alles ganz richtig gewesen. Sie hatte den Film so tröstlich empfunden wie eh und je. Außerdem wurde ihr bewusst, dass sie wahrscheinlich keine Menschenseele kannte, mit der ihr das Zusammensein so leicht fiel wie mit Will. Vielleicht wäre es mit einem Kind ähnlich, das genauso ruhig und aufmerksam war wie er.
Er sah sie an und sagte: »Meine Mutter ist gestorben, aber dafür habe ich Becky. Ich würde gern bei Becky wohnen, aber ihre Wohnung ist nicht groß genug. Sie haben keine Becky.«
»Nein. Aber ich komme schon zurecht. Sollen wir uns jetzt die Nachrichten anschauen? Und anschließend schicke ich dich nach oben.«
Kaum hörte sie die Hauptmeldung, bedauerte sie, dass sie ihn hatte bleiben lassen. Im nördlichen London wurde ein Mädchen vermisst. Sie war achtzehn und Studentin und lebte noch bei ihren Eltern in Hornsey. Seit Mittwochabend, als sie mit Freunden in die Disko gegangen war, hatte man sie nicht mehr gesehen. Die Disko lag in der Tottenham Court Road, und die Freunde sagten, sie wären alle kurz vor zwei Uhr früh gegangen. Zuletzt
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