Der Duft des Bösen
Wasserpfeifen rauchten, jede Menge Gäste in dem libanesischen Lokal und in den kleinen Läden rege Geschäfte. Die Star Street lag ebenfalls ruhig da. Ihm gefiel es hier besser, wo alles still war. Schon immer hatte er Schweigen und Ruhe gemocht. Man musste sich ja nur mal ansehen, was passiert war, als er gegen jede Gewohnheit einen »Nachtclub« betreten hatte. Einen lauteren Ort hätte man sich nicht denken können. Wenn er das nicht getan hätte, hätte der Kreislauf der Todesfälle vielleicht nie begonnen …
Vor ihm bog ein ungefähr Sechzehnjähriger in die Star Street ein, allerdings auf der anderen Straßenseite. Er stammte eindeutig aus dem asiatischen Subkontinent, wahrscheinlich aus dem Süden, da er eine Haut wie dunkle Bronze und schulterlange schwarze Haare hatte. Seltsamerweise trug er einen Nadelstreifenanzug. Kurz bevor er zur Abzweigung St. Michael’s Street kam, ging er über die Straße und blieb im Schein der Straßenlampe am Eck stehen, als würde er auf jemanden warten. Als Jeremy zum Eingang von Inez’ Haus kam, warf er einen verstohlenen Blick zu ihm hinüber. Dabei sah er, dass sein fein geschnittenes Gesicht mehr an ein slawisches erinnerte als an andere europäische Züge. Ein schmallippiger Mund, hohe Backenknochen, eine lange, gerade, scharf ausgeprägte Nase. Ihre Augen trafen sich, die schwarzen und die blassen grauvioletten. Jeremy wandte den Blick ab und ging hinein.
Wie die zwei jungen Männer in dem Stück über Leopold und Loeb redete er sich ein, Jeremy würde aus Neugier töten, um zu sehen, wie es sich anfühlte. Allerdings wurde »Cocktail für eine Leiche« geschrieben, bevor sich die psychologische Erforschung des menschlichen Wesens intensiv auf die Literatur ausgewirkt hatte. Außerdem stand zu bezweifeln, dass ein solches Motiv heutzutage überzeugen würde. Alexander wusste das und vermutete, dass es noch etwas anderes geben müsste, auch wenn er bei seinen Selbstgesprächen weiterhin diesen Grund anführte. Aber was? Wenn sein Gedächtnis unter einem Verdrängungssyndrom litt – falls es so etwas überhaupt gab –, würde er es möglicherweise nie wissen. Das müsste man erst aus ihm herausholen. Und doch war er von einem felsenfest überzeugt: Angenommen, ein Verwandter hätte ihn als Kleinkind missbraucht (angesichts der Tatsache, dass ihn seine Mutter nie aus den Augen gelassen und sogar seine Einschulung bis zum siebten Lebensjahr hinausgezögert hatte, ein höchst unwahrscheinlicher Fall), oder ein Kindermädchen hätte ihn heimlich verprügelt (er hatte nie ein Kindermädchen gehabt), oder seine verwitwete Mutter hätte ihn vernachlässigt (nach dem Tod seines Vaters betete sie ihn sogar noch mehr an als vorher), dann käme er dahinter, wenn er nur tief genug grub. An tief schürfenden Grabungen hatte es nicht gemangelt, am Ergebnis schon.
An seine frühe Kindheit hatte er keine Erinnerung. Aus seiner intensiven Lektüre über Psychologie wusste er allerdings, dass es genau im Kleinkindesalter zu Traumata kommen konnte. Außerdem hatte er daraus gelernt, dass nur wenige Menschen eine bewusste Erinnerung an Ereignisse vor ihrem dritten Lebensjahr haben. Doch was könnte passiert sein, während ihn seine Mutter stets behütet hatte? Als er schließlich doch noch in die Schule kam, hatten ihn weder Klassenkameraden drangsaliert noch hatten seine Lehrer drakonische Methoden angewandt.
Sollte er nach unglücklichen Frauengeschichten suchen? So etwas war nie vorgekommen, es sei denn, man zählte seine Ehe dazu. In diese war er hineingetrudelt, als er und das Mädchen im zweiten Jahr an der Universität Nottingham gewesen waren. Sie hatte gesagt, sie sei schwanger. Unter solchen Umständen war damals eine Ehe immer noch Pflicht. Kein Baby kam. Nach mehreren Monaten behauptete sie, sie hätte einen Abgang gehabt. Alexander war völlig ahnungslos und glaubte ihr. Erst nach einer Weile setzten bei ihm Zweifel ein, denn es hatte weder Anzeichen für eine Schwangerschaft noch für einen Abbruch derselben gegeben. Soweit es ihn betraf, hatte er immer befriedigende sexuelle Beziehungen gehabt und hätte sich einigermaßen damit abgefunden, dass die Dinge so weitergingen, wie sie liefen, auch wenn er sich eingestand, dass er seine Frau und deren Gesellschaft nicht sonderlich mochte. Aber sie fing an, sich ausgerechnet über ihren Sex zu beklagen, und zwar auf eine aggressiv beleidigende Weise. Sie schrie ihn an, alles geschehe nur zu seinem Lustgewinn, während ihm
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