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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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wanderten zu dem Schlüsselring und dem Feuerzeug. Er könnte sie auch einfach an die Polizei schicken. Genau das würde ein unbedeutenderer Mensch tun. Er könnte dünne Latexhandschuhe anziehen, beides sauber abwischen, in eine neue unbenutzte gefütterte Versandtasche fallen lassen, den Adressaufkleber am Computer schreiben und alles an die Polizeiwache Paddington Green schicken. Früher wäre so etwas leicht gewesen, jetzt nicht mehr, nicht mit all diesen Untersuchungsmethoden. Heutzutage würden sie vermutlich feststellen können, wo man Versandtasche und Adressaufkleber gekauft hatte, welche Sorte Handschuhe benutzt und über welche Postfiliale alles verschickt worden war. Letzteres ganz sicher. Nur den Computer nicht, noch nicht. Als Computerfachmann brachte Alexander in seinem Kensingtoner Remisenbüro einen Großteil seiner Arbeitszeit damit zu, eine Methode zu entwickeln, womit Fahnder einzelne IT-Systeme und anschließend auch die individuelle Hand herausfiltern konnten, die sich ihrer bedient hatte. Den Erfinder würde ein Vermögen erwarten, falls sich so etwas überhaupt erfinden ließe. Ihm wäre es wohl kaum dienlich, wenn er es jetzt entdecken würde …
    Trotzdem würde er die Gegenstände nicht der Polizei schicken und sie auch nicht in anderen Antiquitätenläden deponieren. Natürlich könnte er sie in einen Gully oder sogar in einen Abfalleimer fallen lassen und müsste keine Entdeckung befürchten. Leider befriedigte dies nicht einen gewissen künstlerischen Anspruch, den er hatte – es war eindeutig weniger riskant. Er zitterte, allerdings nicht vor Kälte. Sollte er sie einem anderen unterschieben? Dem doofen Freddy Perfect oder dem Idioten aus der Wohnung nebenan? Eine kreative Idee, aber ein übertriebenes Risiko. Dafür müsste er sich die Ersatzschlüssel aus Inez’ Büro hinter dem Laden ausleihen und wieder zurückbringen. Dazu wäre er zwar in der Lage, aber brauchte er diesen Druck?
    Jeremy stand auf und spazierte gegen den Uhrzeigersinn durch die Grünfläche. Der Platz lag ganz ruhig da. Auf der einen Seite fuhr ein Auto entlang, ein anderes die Sussex Street hinunter – zwei große teure Wagen mit geringer Geschwindigkeit. Er stieg wieder über den Zaun und machte sich auf den Heimweg, mit einem großen Umweg über den Bryanston Square und den Seymour Place entlang. In einer der kleinen Nebengassen der York Street war es passiert. Dort hatte er Nicole Nimms erdrosselt und aus ihrer Handtasche eine Zigarette samt dem Feuerzeug entwendet. Sie hatte sich auf dem Heimweg in eines der Remisenhäuschen befunden, das sie sich mit zwei anderen Mädchen teilte. Genau hier war es gewesen, oder besser gesagt, dort unten, unter dem Steinbogen. Auf den Pflastersteinen fiel ihm ein in Zellophan gewickelter Narzissenstrauß auf. Selbstverständlich! Gestern hatte sich ihr Todestag zum ersten Mal gejährt. Das hatte er zwar nicht vergessen, aber es hatte ihm nicht viel bedeutet.
    Von Minute zu Minute schien es kälter zu werden. Der Himmel hatte sich aufgeklart, der Mond war herausgekommen. Es würde Frost geben. Mit schnellen Schritten ging er den Seymour Place hinauf, bog nach links ab und nahm die Old Marylebone Road. Aus dem Harcourt Place kam ein einzelnes Mädchen heraus, das rasch Richtung Edgware Road ging, ohne beunruhigt zu wirken. Lächelnd beobachtete er ihren weiteren Weg, auch wenn dieses Lächeln ihm selbst galt und nicht ihr, als sie zweimal über die Schulter zurückschaute, um zu prüfen, wo er sich aufhielt. Sie war vor ihm sicher, auch wenn sie das nicht wusste. Ihr fehlte jenes unbekannte Etwas, das ihn magisch zu seinen Opfern zog. Dessen war er sich trotz ihrer unmittelbaren Nähe und der völligen Finsternis bewusst. Was für ein seltsam befremdliches Gefühl musste es sein, wenn man sich als Frau im Freien nach Einbruch der Dunkelheit fürchtete. Und doch konnte er sich nicht vorstellen, was es hieß, eine Frau zu sein. Ihm wäre es wesentlich leichter gefallen, sich auszumalen, er sei irgendein edles Tier, ein Rassehund oder ein Raubtier. Der Jaguar in Inez’ Laden, als er noch lebendig im Vollbesitz seiner Kräfte Jagd machte. Vielleicht sogar ein Rottweiler?
    Es war schon beinahe zehn Uhr, als er zu Sussex Gardens hinüberging und in die Southwick Street einbog. Ringsherum kein Mensch, keine lebende Seele. In der Edgware Road war noch etwas los gewesen: helle Lichter, überall Gruppen von Teenagern, Orientalen, die vor den Cafés in der Kälte saßen und ihre

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