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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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wir haben uns – also, nicht getrennt, das nicht ganz, obwohl es sicher dazu kommen wird. Wir haben beschlossen …« Er musste diesen absurden Ausdruck richtig bringen. »Wir brauchten beide etwas Abstand«, sagte er. »Wir brauchen Zeit, um über unsere Situation nachzudenken. Ich kann es Ihnen ja auch gleich sagen – sie meint, ich würde mich über die Zeit ärgern, die sie mit ihrer Mutter verbringt. Und das könnte ich nicht mal leugnen. Ich habe gesagt, ich möchte keine Frau heiraten, die ständig ihre Mutter dem Ehemann vorzieht.«
    Inez nickte. »Dann wird es ihre Mutter also überleben?«
    »Es sieht ganz danach aus. Wahrscheinlich noch Jahre. Was soll das für Belinda und mich bedeuten? Ich glaube an absolute Loyalität zwischen Eheleuten, Sie nicht auch?«
    »Vermutlich ja.«
    »Für eine Frau sollte ihr Ehemann an erster Stelle stehen.«
    »Und für einen Mann doch sicher die eigene Frau?«
    »Das versteht sich von selbst«, meinte Jeremy.
    »Nun, das tut mir Leid. Hoffentlich können Sie einen Weg finden, um wieder zusammenzukommen. Nach Ihren Erzählungen schienen Sie beide so gut zusammenzupassen.«
    Inez war überzeugt – oder nicht? Möglicherweise wollte sie auch nur wieder zur endlosen Wiederholung ihrer Vergangenheit zurück, oder zu dem, was sie sonst noch der Betrachtung eines Toten in einem zweitklassigen Video abgewann. »Trotzdem würde ich mich freuen, wenn ich am Mittwoch auch allein kommen dürfte.«
    »Ich denke nicht, Jeremy. Ich werde die Gelegenheit zu einem Besuch bei meiner Schwester nutzen. Sie ist krank gewesen, und ich habe sie seit Wochen nicht gesehen.«
    Sie lächelte nicht, sie sah ihn nicht einmal an. Vielleicht war sie nur müde, oder die Ereignisse des Tages hatten sie erschreckt. Er hatte erwartet, dass sie mit ihm darüber sprechen, über die Folgen diskutieren und ihn fragen wollte, was die Polizei gesagt hatte. Vielleicht hätte sie ihm erzählt, was die Polizisten zu Cobbett und zu dem Mädchen mit dem indischen Namen gesagt hatten. Sie jedoch stand einfach auf, eine Geste, mit der man einem Gast am nachdrücklichsten zeigen konnte, dass er gehen soll. Er musste gehen, es blieb ihm keine andere Wahl. Und genau dies – keine Wahl zu haben – sah sein Lebensplan nicht vor. In seiner Existenzialphilosophie spielten Wahlmöglichkeiten immer eine große Rolle. Hatte er nicht diese zweite Identität als Sicherheitsventil für seinen gesunden Verstand gewählt? Nur in einem Punkt hatte er keine Wahl …
    Draußen war es inzwischen ziemlich dunkel. Trotzdem gab es in nächster Nähe keinen unbeleuchteten Platz, keine dunkle Lücke. Jeremy liebte völlige Dunkelheit. Selbst im nicht allzu weit entfernten Hyde Park brannten um diese Tageszeit Lampen. Allerdings hatten die meisten Londoner Plätze in der Mitte eine Grünfläche, die wie tot unter einem dunklen Tuch zu liegen schien. Nur der Norfolk Square nicht, der war dafür zu klein, dachte er, als er dort hinkam. Er wandte sich Richtung Süden und überquerte Sussex Garden beim Monkey Puzzle Pub. Kein Mond heute Nacht. Droben am trüben rötlich schwarzen Himmel ließen sich wie immer keine Sterne blicken.
    Die nur mäßig hell erleuchtete Sussex Street bildete eine Seite des Gloucester Square. Gewiss hatten die betuchten Anwohner etwas gegen Leuchtstoffröhren an hohen Betonmasten. Das war etwas für die Armen, für Siedlungen mit Sozialbauten. Jeremy ging in der Mitte des Platzes an der Umzäunung entlang, bis er zu einem Tor kam, das natürlich versperrt war. Damit hatte er gerechnet. Sämtliche Anwohner hatten Schlüssel. Er entschied sich für eine Ecke, die man von den Fenstern der hohen Reihenhäuser am wenigsten einsehen konnte, legte seinen Regenmantel über die Zaunspitzen und kletterte hinüber.
    Drinnen gab es Büsche und Bäume und einen Fußweg rund um eine Grasfläche. Diese Plätze glichen einander wie ein Ei dem anderen. Wahrscheinlich stand hier irgendwo eine Bank. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er spazierte den Weg entlang, fand eine Bank und setzte sich. Aus dem Stein kroch ihm eisige Kälte über die Pobacken bis in den Rücken hinauf, bis er zitterte. Es tat fast weh, doch das Vergnügen, hier zu sein, besiegte den Schmerz. Es war höchst unwahrscheinlich, dass jetzt noch jemand auf diese Grünfläche kam. Nur auf diesen stillen Plätzen, im Dunkeln unter Bäumen, ohne Gerüche und Geräusche, konnte er sich je wirklich allein und im Frieden fühlen.
    Seine Gedanken

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