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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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sogar er war sich dessen nicht sicher, und doch spürte er es.
    Eine schreckliche Erregung bemächtigte sich seiner. Er spürte, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss, seine Adern erweiterten sich, in seinem Schädel pochte es. Auf seiner Brust perlte der Schweiß, seine Hände wurden klatschnass. Hätte ihn jemand – ein Arzt etwa oder ein Psychologe – um eine Beschreibung seines Empfindens gebeten, hätte er gesagt, es sei, als würde er jeden Moment explodieren. Er beobachtete die Mädchen. Nein, sie beobachtete er.
    Sie wünschte den beiden anderen »Gute Nacht« und kam auf ihn zu. Allein. Sie blieb stehen, lächelte ihn an und fragte: »Wohnen Sie in einem netten Hotel?«
    »Vielleicht«, sagte er.
    »Dann möchten Sie mich vielleicht mitnehmen?«
    »Steig ein«, sagte er.
    Ziemlich elegant und geübt nahm sie auf dem Beifahrersitz Platz, wobei sie lange Beine in hochhackigen Schuhen enthüllte. Aus ihrer Handtasche holte sie ein Silberkreuz an einer Kette und legte es sich um den Hals, als sei es ein Amulett, ein Glücksbringer. Er lehnte sich auf ihre Seite, als wollte er die Tür schließen. Stattdessen beugte er sich über sie und packte die Kette von beiden Seiten. Dann zog er mit überkreuzten Händen so fest zu, wie es nur ging. Nicht einmal jetzt berührten seine Finger ihre Haut. Dass die Kette reißen könnte, auf die Idee kam er gar nicht. Erst als das Mädchen tot war und ihn aus hervorstehenden Augen, die inzwischen noch mehr hervorgetreten waren, verzweifelt anstarrte, riss die Kette. Das Gesicht war blau angelaufen, genau wie es in den Büchern stand. Er steckte die zerrissene Kette in die Hosentasche, zerrte das Mädchen aus dem Auto und warf sie auf die Baustelle, wo Arbeiter einen Spaten vergessen hatten. Damit begann er, sie mit Ziegelsteinen, Abfall und Zementbrocken zuzuschaufeln. Niemand war in der Nähe. Sein Fahrzeug war das letzte auf dem Parkplatz gewesen.
    Obwohl er vermutlich ziemlich unbehelligt die ganze Nacht dort hätte bleiben können, tat er es nicht. Trotz seines betrunkenen Zustands fuhr er noch anderthalb Kilometer weiter, suchte eine stille Vorstadtstraße und machte es sich dort bequem. Er schlief bis acht Uhr morgens. Die Schritte eines Zeitungsjungen weckten ihn. An der Ecke kaufte er in einem Laden eine Flasche Wasser und fuhr zur Baustelle zurück, um sich Gewissheit zu verschaffen, dass er keine sichtbaren Spuren hinterlassen hatte. Inzwischen hatten Arbeiter begonnen, von einem Kipplaster Bauschutt auf den von ihm begonnenen Haufen zu leeren. Ein glücklicher Zufall. Er fuhr wieder nach London. Erst als er sich in seiner Wohnung in Chelsea befand, schaute er sich die Kette mit dem Kreuzanhänger an. Eine Entscheidung oder ein Plan ergab sich daraus für ihn nicht.
    Nicole Nimms war das Ergebnis eines zweiten, genauso unerklärlichen Impulses gewesen, eines Aufruhrs, der wie ein Unwetter durch seinen ganzen Körper – Jeremys Körper – tobte. Auch diesmal hatte er nur ein Ziel: diese eine, und nur sie. Sobald er daran dachte, dass er eigenhändig ihren Tod verschuldet hatte, und seine Tat analysierte, brach ihm der kalte Schweiß aus, und er musste stark an sich halten, um nicht laut aufzuschreien. Seine Verwandlung in Jeremy Quick war die Flucht vor dieser Situation. Dass ihn die Zeitungen und in deren Gefolge die Öffentlichkeit den Rottweiler nannten, machte ihn wütend. Noch nie hatte er jemanden gebissen. Er bezweifelte, dass er physisch überhaupt in der Lage war, in Menschenfleisch zu beißen, denn dies war die schlimmste Art von Berührung. Vorher müsste er sich bereits übergeben. Die Behauptung, er sei ein wahnsinniger Sadist, der seine Opfer biss, wurde noch ärgerlicher angesichts der Tatsache, dass er eigentlich gegen seinen Willen getötet hatte, ohne Absicht. Warum hatte er es dann getan? Und eine zweite Frage war genauso rätselhaft: Warum war ihm dies vergleichsweise so spät in seinem Leben passiert? Warum hatte »es« gewartet, bis er über vierzig war?
    Bis er die Antworten darauf kannte, würde er weitermachen, denn nur das Wissen konnte ihn aufhalten.

10
    »Aus dem, was ich tue«, sagte Freddy Perfect, »kann man eine Menge lernen. Beim Bummel durch solche Läden, meine ich. Beachten Sie, Inez, ich habe nie ›Trödelläden‹ gesagt. Antiquitätenläden. Ja, wie gesagt, man kann eine Menge lernen, wenn man kleine Einzelstücke ruhig betrachtet.
    Zum Beispiel diese Vase und das Döschen hier.«
    »Ja?« Inez verfolgte gerade im

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