Der Duft des Bösen
kommen durfte, tröstete sie ein wenig darüber hinweg. Im Laufe des Sonntagnachmittags war sie in die Küche gegangen und wartete nun darauf, dass das Teewasser kochte. Dabei hatte sie gesehen, wie Will aus dem Wohnzimmer kam und auf dem Weg ins Bad im Flur stehen blieb. Er öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und schaute hinein. Natürlich hatte er schon oft hineingeschaut und sich auch drinnen aufgehalten, und doch kam es ihr vor, als sei sein prüfender Blick in dieses Zimmer diesmal anders. Sie war überzeugt, er würde den Raum taxieren und sich sagen, dass man dort leicht ein Einzelbett aufstellen könnte, ohne die restlichen Möbel sehr durcheinander zu bringen. Warum sollte das nicht sein Schlafzimmer werden?
Während sie die Teebeutel mit Wasser übergoss und den großen Kuchen mit dem Schokoladenüberzug aus dem Kühlschrank holte, übte sie stumm ihre Antworten auf seine möglichen Fragen. Dort drinnen muss ich arbeiten, Will, manchmal sogar noch um Mitternacht. Dort muss ich Sachen erledigen. Du weißt, Will, ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen, nicht wahr, genau wie du. Das weißt du doch. Es klang schwach. Es hörte sich genauso an, wie es war: als würde jemand verzweifelt nach Ausflüchten suchen.
Wills Gedanken waren tatsächlich ungefähr in diese Richtung gegangen. Doch an einem Punkt hatte sich in Beckys Kalkulation ein Irrtum eingeschlichen: Nie würde er sie um dieses Zimmer bitten, geschweige denn, dass er dies insgeheim als Möglichkeit in Betracht ziehen würde. Die Anwesenheit von Schreibtisch, Stühlen, Computer und Zubehör, Fotokopierer und Aktenvernichter verkündete, so weit es ihn betraf, laut und deutlich: Hier war für ihn kein Platz. Außerdem hatte sie ihm das bereits erklärt, und Beckys Worte waren für ihn Gesetz. Die arme Becky hatte nicht genug Geld, um ihr Zuhause mit ihm zu teilen.
Vor mehreren Wochen hatte er noch geglaubt, alles würde sich ändern, wenn er erst mal diesen Schatz hätte. Dann könnten sie beide sich das Geld teilen, ihr gemeinsames Haus kaufen und bis ans Ende ihrer Tage zusammenwohnen. Auf die Rückseite eines Umschlags, der Werbung für ein Pizzalokal enthalten hatte, hatte er »Sixth Avenue« geschrieben. Zuvor hatte er noch Inez gefragt, wie man das buchstabiert, und dann die Buchstaben mit einem Kugelschreiber sorgfältig in Druckschrift notiert. Das wollte er Leuten zeigen, falls sie seine Frage nicht verstehen sollten.
Doch inzwischen hatte er fast die Hoffnung aufgegeben, diesen Ort zu finden. Alle hatte er gefragt und ihnen den Umschlag gezeigt, und alle meinten, die Sixth Avenue läge in New York oder »sonst wo in Amerika«. Zuerst hatte er das nicht akzeptiert. Logisches Denken gehörte nicht wirklich zu Wills ausgeprägtesten Fähigkeiten. Er besaß kein Verständnis für Ursache und Wirkung und war nie in das Geheimnis des deduktiven Denkens vorgedrungen. Angenommen, jemand wie Jeremy Quick hätte ihm gesagt, nur in Amerika würden Avenues durchnummeriert, die Sixth Avenue sei eine davon, und deshalb liege die Sixth Avenue in Amerika, hätte er ihm vermutlich lachend beigepflichtet, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Doch nach langen Erklärungen stand ihm jetzt nicht der Sinn. Er akzeptierte die Tatsache einigermaßen, wenn auch traurig und widerwillig. Nur eines ließ ihn weiter zweifeln: der Klang der Polizeisirenen. Es musste irgendwo hier sein, denn schließlich hörte er genau diese Sirenen, wenn er nachts im Bett lag. Immer wenn Polizei, Sanitäter oder Feuerwehr mit ihren Autos die Edgware Road entlangdonnerten oder an Sussex Gardens vorbeischossen, hörte er diesen Lärm, dieses Kreischen und Jaulen.
Die Schwierigkeit bestand darin, dass keiner der anderen Leute, die er fragte, den Film gesehen hatte. Er hatte versucht, Keith zu einem Besuch zu überreden, noch am Montag, als sie in der Wohnung im Ladbroke Grove auf dem Fußboden saßen und ihre Brote aßen.
»Will, ich kann abends nicht ausgehen. Ich kann die Frau nicht mit den Kids allein lassen, wenn sie sie schon den ganzen Tag am Hals gehabt hat.«
»Sie könnten ja mitkommen«, sagte Will.
»Nein, das geht nicht. Du hast ja keine Ahnung, wie zwei- und dreijährige Jungs so sind. Und Kim können wir nicht bitten, den Babysitter zu spielen.« Er hielt inne, um zu sehen, ob Will irgendwie verlegen wirkte, sobald der Name seiner Schwester fiel, doch da war keinerlei Reaktion. »Schätzungsweise ist sie ein bisschen enttäuscht, weil sie von dir seit eurem
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