Der Duft des Bösen
gemacht, die er eine ganze Zeit später als die meisten Kinder hatte tragen müssen. Dadurch wurde auf erschreckende Weise, die in keinem Verhältnis zu einer normalen Erinnerung an etwas stand, was der überwiegende Teil von Kindern ertragen musste, alles wieder lebendig: Wie er sich geschämt hatte, wie er dieses Ding gehasst hatte. Jede weitere Erwähnung der Spange hatte er ihr strikt verboten. Sie war rot geworden und hatte sich entschuldigt. Die Sache kam nie wieder zwischen ihnen zur Sprache.
Manchmal machte sie Bemerkungen über seinen vermeintlichen Lebensstil: das große geräumige Büro, die Sekretärin, die Partys, Empfänge und Theaterbesuche, die Anproben bei seinem Schneider, den Besuch von Ascot und – aus einem unerfindlichen Grund – der Chelsea Flower Show. Er musste schmunzeln, wenn auch liebevoll, wenn er diese Fantasien mit seiner momentanen Realität und seinen Spaziergängen durch die Straßen verglich, wo er darauf wartete, dass ihn ein schreckliches Verlangen überkam …
Immer wenn er bei ihr war, in ihrem hübschen Häuschen in einer jener ruhigen Sackgassen am Dorfrand, und ihren liebenswürdigen Plaudereien über das Dorfleben lauschte, konzentrierte sich sein Gehirn mehr als sonst auf die Mädchen, die er umgebracht hatte, und auf seine künftigen Opfer. Warum? Seiner Mutter war allein der Gedanke an Mord so verhasst, dass sie sich im Fernsehen keine Krimis oder Dokumentationen über Verbrechen anschaute und nicht einmal einen Kriminalroman in ihrem Hause duldete. Während er mit ihr zusammensaß, würde er kein Wort über ein Ereignis verlieren, das im Laufe dieses Wochenendes im ganzen Lande in aller Munde war und auch ihn zwangsläufig beschäftigte: das Verschwinden von Jacky Miller, von der bisher jede Spur fehlte. Seine Mutter würde erblassen und zu zittern anfangen, wenn er auch nur den Namen des Mädchens erwähnte. Warum brodelten dann die Bilder von ihrer Ermordung die ganze Zeit in seinem Gehirn? Warum hatte er sie und alle anderen umgebracht? Was hatte er davon?
Vielleicht, weil sie ihrem Standard als Frau nicht entsprechen konnten. Aber sie war achtundsechzig, die anderen hingegen samt und sonders junge Frauen. Außerdem hatten alle Frauen diesen Makel, und er verspürte nicht den Drang, etwa Inez Ferry umzubringen oder seine Nachbarin in den Remisenhäuschen, die er zwar gesehen, aber noch nie gesprochen hatte. Einmal wollte er von seiner Mutter wissen, ob er als Kleinkind ein Kindermädchen gehabt hätte oder ob auf ihn ein junges Mädchen aufgepasst hätte, während seine Eltern ausgegangen waren.
»O nein, mein Schatz«, hatte sie schockiert gerufen, »dich hätte ich bei niemandem gelassen. Keinem hätte ich getraut. Bis du sechzehn warst, sind dein Vater und ich abends nie gemeinsam ausgegangen. Manchmal denke ich, dass ich deshalb auch nicht noch ein Kind bekommen habe. Dann hätte ich vielleicht tagelang ins Krankenhaus gemusst, und um dich hätte sich eine Fremde kümmern müssen.«
Mit seinen Päckchen, von denen einige in blau-silbernes Geschenkpapier verpackt waren, und dem Orchideentopf im Arm fuhr er mit dem Bus zurück zur Kensington High Street und ging von dort zu Fuß nach Süden. Hatte es vielleicht in seiner Schule eine junge Hausmutter mit einer Vorliebe für Knaben gegeben? Aber er war doch Tagesschüler gewesen. Seine Mutter hätte ihn nie in ein Internat gegeben. Die junge hübsche Mutter eines Freundes, die ihn verächtlich abgewiesen hatte, statt ihn zu verführen? Bis heute stand ihm jeder seiner Freunde lebhaft vor Augen – viele waren es nicht gewesen, und alle hatten unglaublich hässliche Mütter gehabt. Eine war wie eine Ente plattfüßig dahergewatschelt, die andere hatte ein Gesicht wie Mao Zedong gehabt. Was also war mit ihm geschehen? Warum überfiel ihn jetzt beim Anblick einer ganz bestimmten jungen Frau nach Einbruch der Dunkelheit oder an einem einsamen Ort dieser fieberhafte, unüberwindliche leidenschaftliche Zwang?
Er konnte nicht einmal sagen, was sie dazu bestimmte, woher er bei ihrem Anblick wusste, dass sie die Nächste sein werde. Alle waren grundverschieden gewesen. Die zierliche Gaynor Ray war hübsch und hatte rotblonde Locken, Nicole Nimms war blond und überschlank, Rebecca Milsom fast schon negroid, auch Caroline Dansk war ein dunkler Typ gewesen, allerdings vom Gesicht her ganz anders und viel dünner, wogegen die übergewichtige Jacky Miller weißblonde Haare und eine ständig leicht gerötete Haut hatte.
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