Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
Vorfahren, den Ureinwohnern, das Land einmal gehört hatte.
Ihre Augen glitten über die Kleidung der Arbeiter ihrer Großeltern. Alle waren ähnlich angezogen. Sie konnte rein äußerlich keine Unterschiede festmachen. Sie fragte sich, ob sich diese Aborigines wirklich vollkommen mit ihrem jetzigen Leben arrangiert hatten, ob sie zufrieden waren oder ob sie aus der Not heraus so lebten und arbeiteten, in Wirklichkeit aber noch fest in ihren Traditionen wurzelten und die Farmtätigkeit möglicherweise insgeheim hassten.
Sie seufzte unwillkürlich. Es war wieder einmal typisch für sie, sich solche Gedanken zu machen. Sie war so in ihre Überlegungen vertieft gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie ihr Großvater neben sie getreten war. Erst als er die Arme auf den Zaun legte, sah sie zur Seite.
»Na, warum seufzt du? Wer tut dir Leid, die Pferde oder die Männer?«, fragte er grinsend.
Sie fühlte sich ertappt und schüttelte rasch den Kopf. Sie hatte nicht vor, das, was sie gerade beschäftigt hatte, ihrem Großvater mitzuteilen. Nicht dass sie kein Vertrauen zu ihm gehabt hätte, aber sie wusste, dass dieses Thema in Australien sehr heikel war und dass es einem als Außenstehenden nicht zukam, darüber zu urteilen beziehungsweise sich in besserwisserischer Manier zu äußern. Jedes Land auf Erden hatte eigene Probleme, und niemand mochte es, wenn sich Fremde einmischten. Sarah wusste, dass gerade die gastfreundlichen, aufgeschlossenen Australier sehr empfindlich darauf reagieren konnten. Sie versuchte also unbekümmert auszusehen, lächelte ihrem Großvater zu und sagte: »Weder noch.«
Shane schob sich den Hut in den Nacken und setzte sich neben sie. Ihm war ihre kurze Verlegenheit nicht entgangen. Er hatte in den letzten Tagen immer wieder die Nähe seiner Enkelin gesucht und sich gefreut, wie sie ihn an ihren Eindrücken teilnehmen ließ. Er interessierte sich für ihre Gedanken, die oft einfach aus ihr hervorsprudelten, aber nie einen gewissen Scharfsinn oder eine bestimmte Tiefgründigkeit vermissen ließen. Sie schien für ihr Alter erstaunlich viel nachzudenken und zu hinterfragen. Dennoch glaubte er hinter all dieser Ernsthaftigkeit auch eine Spur von Unsicherheit zu erkennen. Er suchte jetzt ihren Blick. Dass sie ihm auf diese Weise auswich, war neu für ihn. »Nun sag schon, was dich beschäftigt.«
Sarah zögerte nach dieser erneuten Aufforderung ihres Großvaters. Sicher, sie hätte mit einer belanglosen Bemerkung über die Pferde jede Unterhaltung beenden können, aber insgeheim wollte sie gerne wissen, wie Shane über das Thema dachte, das sie gerade so sehr beschäftigte. Gleichzeitig fürchtete sie sich davor, dass ihr die Antwort ihres Großvaters womöglich nicht gefallen würde. Waren ihre Fragen zu den Aborigines das Risiko wert, dass sich die Harmonie zwischen ihnen trübte? Nach seinen Worten während des morgendlichen Ausritts brannte Sarah jedoch darauf, mehr über das Land zu erfahren, über die Familiengeschichte. Wusste er Genaueres von Wintinarahs Anfängen? Wie waren seine Urgroßeltern mit der Anwesenheit der Aborigines umgegangen? Wie hatten sich die Ureinwohner verhalten?
Shane hatte sie beobachtet und klopfte auf das Gatter. »Jetzt frag einfach, was du wissen willst. Keine Bange!« Sarah sah ihn sekundenlang offen an, bevor ihre Augen wieder zu den schwarzen Arbeitern wanderten. Sie räusperte sich. »Es ist nicht ganz einfach für mich ... Ich möchte auch nicht, dass du denkst, ich würde mich um Dinge kümmern, die mich nichts angehen ...« Ihre Finger zupften jetzt an den Lederriemen eines Halfters, das über dem Gatter hing. »Ich habe mich gefragt, wie die Geschichte der Aborigines auf diesem Land ausgesehen haben mag, als unsere Vorfahren hier ankamen und begannen Wintinarah sicher in dem damals verkündeten Glauben aufzubauen, das Land gehöre niemandem, denn es wurde ja nicht im europäischen Sinne genutzt oder bestellt. Die Ureinwohner wurden deshalb als zu dumm für Ackerbau und Viehzucht angesehen und nicht für voll genommen.«
Sarah machte eine kleine Pause, in der sie ein wenig unsicher in das Gesicht ihres Großvaters blickte. Doch er verzog keine Miene und hörte ihr ernst zu.
Sie fuhr also fort: »Als ich eure Stockmen hier beobachtet habe, musste ich unwillkürlich an all das denken und mich fragen, ob sie mit ihrem heutigen Leben glücklich sind und sich zurechtfinden.« Sie lächelte zaghaft. »Vielleicht haben sie ja auch einen Großvater, der
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