Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
schlucken, als würde ich bei einer Taufe Popcorn mampfen oder als würde ich ein Eis essen, während mein Freund mir gerade erzählt, dass sein Hund gestorben ist. Ich hätte gar nicht hier sein sollen – so fühlte ich mich.
    Ich nehm mir mal mein Essen mit ins Wohnzimmer, sagte ich. Und schau ein bisschen Fernsehen.
    Dort war natürlich auch das Telefon. Ich hätte es abnehmen und eine Nummer wählen können. Die Tür, die Nachbarn – alles war genau so wie vorher. Ich schaltete den Fernseher ein, schaute Herzbube mit zwei Damen und aß mein Chili.
    Ein paar Sendungen später, als ich müde wurde, warf ich einen Blick in die Küche. Das Geschirr war abgeräumt und
gespült worden. Frank hatte Tee gekocht, aber niemand trank welchen. Ich hörte sie leise reden, verstand aber nicht, was sie sagten.
    Ich verkündete, dass ich jetzt ins Bett gehen würde. Normalerweise hätte meine Mutter jetzt »schlaf schön« gesagt, aber heute hatte sie Besseres zu tun.

5
    Meine Mutter hatte keinen festen Job, aber sie verkaufte Vitamine übers Telefon. Alle paar Wochen schickte die Firma, für die sie arbeitete, MegaMite, ihr eine Liste mit Telefonnummern von potentiellen Kunden in unserer Gegend, die sie anrufen und über das Produkt informieren sollte. Von jeder Packung Vitamine, die sie verkaufte, erhielt sie einen Anteil. Wir selbst konnten die Vitamine zu einem günstigeren Preis einkaufen, eine Art freiwillige Zusatzleistung der Firma. Meine Mutter achtete darauf, dass ich meine MegaMites zweimal pro Tag einnahm. Die Wirkung könne sie an meinen Augen erkennen, sagte sie. Manche Leute hätten graue Hornhaut, aber meine sei so weiß wie Eischnee. Und im Gegensatz zu anderen Jugendlichen (nicht, dass sie häufig welche getroffen hätte) hätte ich keine Akne.
    Du bist noch zu jung, um das richtig einschätzen zu können, sagte sie, aber später wirst du mir mal dankbar sein, weil diese Mineralstoffe eine positive Auswirkung auf deine Männlichkeit und dein Sexualleben haben werden. Da gibt es Studien drüber. Und vor allem jetzt, wo du in die Pubertät kommst, ist es ganz wichtig, auf so was zu achten.

    Diese Informationen hätte meine Mutter eigentlich den Leuten auf ihrer Telefonliste weitergeben sollen, aber in erster Linie bekam ich sie zu hören.
    Meine Mutter war eine verheerende MegaMite-Vertreterin. Da sie es hasste, fremde Leute anzurufen, tat sie es oft einfach erst gar nicht. Die neuen Listen landeten auf einem Stapel bei den alten, die schon auf dem Küchentisch lagen. Hie und da war ein Name abgehakt und mit den üblichen Bemerkungen versehen worden: Anschluss war besetzt. Späterer Anruf wird versucht. Würde gern kaufen, hat aber kein Geld.
    Ich spüre, dass Sie jemand sind, der diese Vitamine bräuchte, Marie, hörte ich sie einmal am Telefon sagen – an einem Abend, an dem sie sich ausnahmsweise mal mit dem Telefon, der Liste und einem Stift am Küchentisch niedergelassen hatte. So weit, so gut, dachte ich, als ich reinkam, um mir eine Schale Cornflakes mit Trockenmilch zu holen. Dass meine Mutter sich ans Werk machte, sah ich gern. Denn wenn sie weitere dreißig MegaMite-Kunden an Land ziehen konnte, dann – das hatte sie mir versprochen – würde sie mir die Sherlock-Holmes-Kassette vom Classics Book Club kaufen, in den wir im Vorjahr eingetreten waren, um den Weltatlas und die ledergebundene Ausgabe der Chroniken von Narnia mit farbigen Illustrationen umsonst zu kriegen.
    Ich mache einfach Folgendes, Marie, sagte meine Mutter jetzt. Ich schicke Ihnen die Vitamine umsonst. Ich werd sie selbst kaufen, mit meinem Firmenrabatt. Und wenn es Ihnen mal besser geht, können Sie mir immer noch einen Scheck schicken.
    Wie kommst du darauf, dass jemand, den du gar nicht kennst, noch schlechter dran sein könnte als wir?, fragte ich sie.
    Weil ich dich habe, antwortete meine Mutter. Und Marie nicht.

    Ich schätze mal, dein Vater hat nicht mit dir über Sex gesprochen, sagte meine Mutter eines Abends, als wir bei unserem Fischgericht saßen. Vor diesem Moment hatte ich mich schon länger gefürchtet, und ich hätte alles Weitere durch die Behauptung vermeiden können, doch, ja, mein Vater hätte mir alles erzählt. Aber es gelang mir einfach nie, sie anzulügen.
    Nee, sagte ich.
    Die meisten Leute reden immer nur über all die körperlichen Veränderungen, die du in Kürze durchlaufen wirst. Vielleicht hat das ja auch schon angefangen. Aber ich will dir nicht zu nahe treten, indem ich dich danach frage.
    Haben

Weitere Kostenlose Bücher