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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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etwas Zitronigem.
    Er fragte sie, wie sie geschlafen habe. Wie ein Baby, sagte sie und lachte.
    Ich weiß gar nicht, weshalb man das so sagt, fügte sie dann hinzu. Wenn man mal dran denkt, wie oft Babys nachts aufwachen.
    Sie fragte Frank, ob er Kinder habe.
    Eins, antwortete er. Er wäre jetzt neunzehn, wenn er noch leben würde. Francis Junior.
    Manche Leute – wie meine Stiefmutter Marjorie – hätten jetzt ihr Mitleid zum Ausdruck gebracht. Sie hätten gefragt, was passiert war, und wenn sie religiös gewesen wären, hätten sie vermutlich behauptet, Franks Sohn sei jetzt an einem besseren Ort. Oder sie hätten von jemandem erzählt, der ein Kind verloren hatte. Mir war in letzter Zeit aufgefallen, wie oft Leute das machten: Wenn jemand ein Problem zur Sprache brachte, übertrugen sie es auf sich selbst und ihre eigenen Schwierigkeiten.
    Als meine Mutter hörte, dass Franks Sohn gestorben war, sagte sie gar nichts, aber ihre Miene veränderte sich so sehr, dass sie auch gar nichts mehr sagen musste. Es war ein Moment wie am Abend vorher, als Frank meiner Mutter das Chili fütterte und ihr das Weinglas an die Lippen hielt. Ich
hatte das Gefühl, dass die beiden keine gewöhnlichen Wörter mehr brauchten, sondern eine eigene Sprache für sich gefunden hatten. Er wusste, dass sie mit ihm litt. Sie wusste, dass er das verstand. Deshalb setzte sie sich jetzt auch auf den Stuhl, den er ihr zurechtgeschoben hatte – denselben Stuhl, auf dem sie am Abend vorher gesessen hatte –, und streckte die Arme aus, damit Frank sie wieder fesseln konnte. Sie verstanden sich jetzt wortlos, diese beiden. Ich schaute nur zu.
    Ich glaube, die brauchen wir jetzt nicht mehr, Adele, sagte Frank, faltete die Tücher zusammen und legte sie auf einen Stapel Tunfischdosen. Selbst das machte er so achtsam, als sei er der Papst, der seine Roben im Schrank verstaute.
    Ich habe nicht vor, die noch mal zu benutzen, sagte Frank. Aber falls es jemals nötig sein sollte, dann bestehst du auch den Lügendetektortest, wenn du aussagst, ich hätte dich gefesselt.
    Ich hätte ihn gerne gefragt, wann dieser Tag wohl sein sollte. Wer meine Mutter befragen würde und wo. Und was sie wohl mich fragen würden.
    Meine Mutter nickte. Wer hat dir beigebracht, solche Brötchen zu backen?, fragte sie.
    Meine Großmutter, antwortete er. Sie hat mich großgezogen nach dem Tod meiner Eltern.

    Sie waren bei einem Autounfall umgekommen, erzählte er uns. Als er selbst erst sieben war. Sie waren spätabends von einem Besuch bei Verwandten in Pennsylvania nach Hause
gefahren und auf Glatteis ins Schlittern gekommen. Der Chevy war gegen einen Baum geknallt. Sein Vater und seine Mutter auf dem Vordersitz waren tot – seine Mutter hatte allerdings noch lange genug gelebt, dass Frank sich an ihr Stöhnen erinnern konnte, als die Sanitäter sie aus dem Wagen zogen. Sein Vater war direkt tot, lag quer über ihrem Schoß. Frank hatte hinten gesessen und nur ein gebrochenes Handgelenk abbekommen. Er hatte auch noch eine Schwester im Säuglingsalter gehabt. Damals hielten die Leute ihre Babys noch auf dem Schoß, wenn sie Auto fuhren. Auch die Schwester war tot.
    Eine Minute lang saßen wir da und schwiegen. Vielleicht griff meine Mutter nur nach ihrer Serviette, aber ihre Hand streifte Franks Hand und verharrte dort einen Moment.
    Das sind die besten Brötchen, die ich je gegessen habe, sagte meine Mutter. Vielleicht kannst du mir mal das Rezept verraten.
    Dir würde ich vermutlich alles verraten, Adele, sagte er. Wenn ich lange genug hier sein kann.

    Er fragte mich, ob ich Baseball spielte. Das heißt, er wollte eigentlich ganz genau wissen, welche Position mir am liebsten war. Dass mich das gar nicht interessierte, war unvorstellbar für ihn.
    Ich hab eine Spielzeit in der Little League mitgemacht, aber ich war echt schlecht, sagte ich. Ich war linker Outfielder und hab nicht einen Ball gefangen. Alle waren froh, als ich aufgehört hab.

    Bestimmt hat dich nur keiner richtig trainiert, sagte er. Deine Mutter scheint mir eine vielseitig begabte Person zu sein, aber Baseball gehört vielleicht nicht grade zu ihren Stärken.
    Mein Vater ist eine Sportskanone, sagte ich. Er spielt Softball, in einer Mannschaft.
    Das meine ich, sagte Frank. Softball. Was kann man da schon erwarten?
    Der Sohn von seiner Frau ist Pitcher, sagte ich. Mit dem trainiert mein Vater ständig. Er hat mich immer mitgenommen aufs Spielfeld, mit einem ganzen Eimer voller Bälle, und dann sollten wir

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