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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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befand sich dort das Foto von einem Gesicht, das mir vertraut war und das ich dennoch nicht erkannt hätte: Frank. Aber der Mann auf dem Foto sah hart und brutal aus, und auf seiner Brust klebten diverse Nummern, während der Mann in unserer Küche sich ein Geschirrtuch in den Hosenbund gesteckt hatte und einen Topflappen in der Hand hielt.
    Eier wären jetzt schon toll zu diesen Brötchen, sagte er.
    Wir kaufen nicht oft verderbliche Sachen ein, sagte ich. Unser Speiseplan bestand ja hauptsächlich aus Konserven und Tiefkühlkost.
    Ihr habt doch dahinten genügend Platz, um Hühner zu halten, sagte Frank. Drei oder vier hübsche Legehennen, dann könnt ihr euch jeden Morgen Eier braten. Ein frisch gelegtes Ei ist was ganz andres als diese Teile aus dem Karton, die man im Laden kriegt. Goldgelbe Dotter. Wölben sich auf dem Teller wie die Titten von ’ner Nachtclubtänzerin in Las Vegas. Sind auch gesellige Viecher, Hühner.
    Er war auf einer Farm aufgewachsen, erzählte er. Er könnte uns alles beibringen. Mir die Kniffe erklären. Während er redete, warf ich einen Blick auf die Zeitung, aber ich dachte mir, es würde ihn vielleicht verletzen, wenn ich zu großes Interesse an den Einzelheiten seiner Flucht und der Fahndung nach ihm zeigte.
    Wo ist meine Mutter?, fragte ich ihn. Eine Sekunde lang
war ich beunruhigt. Frank kam mir nicht vor wie ein Mann, der uns etwas antun würde, aber nun sah ich sie plötzlich vor meinem geistigen Auge im Keller, an die Heizung angekettet, vielleicht, und mit einem Seidentuch im Mund anstatt lose an ihren Handgelenken. Im Kofferraum unseres Wagens. Oder im Fluss.
    Sie brauchte Schlaf, sagte Frank. Wir waren ziemlich lange auf und haben geredet. Aber es wäre nett von dir, wenn du ihr das hier bringen könntest. Trinkt sie gerne Kaffee im Bett?
    Woher sollte ich das wissen? Die Frage hatte sich nie gestellt.
    Oder wir lassen sie einfach noch ein Weilchen schlafen, sagte er.
    Er holte die Brötchen aus dem Ofen, legte sie auf einen Teller und deckte sie mit einer Stoffserviette zu, um sie warm zu halten. Kleiner Tipp für dich, Henry, sagte er. Brötchen nie mit dem Messer schneiden. Man sollte sie aufreißen, damit man das Innere vollständig genießen kann. Täler und Hügel. Stell dir einen frisch umgegrabenen Garten vor, in dem die Erde noch uneben ist. Dann hast du mehr Stellen, wo die Butter reinsickern kann.
    Wir haben normalerweise keine Butter hier, sagte ich. Wir nehmen Margarine.
    Das ist ein echtes Verbrechen, sagte Frank.
    Er goss sich eine Tasse Kaffee ein. Die Zeitung lag in Reichweite, aber keiner von uns beiden griff danach.
    Ich nehm es dir nicht übel, wenn du dir Gedanken über mich machst, sagte er. Würde jeder vernünftige Mensch tun.

    Ich möchte dir nur sagen, dass die Geschichte, die hier in der Zeitung steht, nicht vollständig ist.
    Darauf wusste ich nichts zu sagen. Ich goss mir Orangensaft ein.
    Hast du irgendwelche Pläne für das lange Wochenende?, fragte er. Grillpartys, Sportfeste oder so? Sieht aus, als würde es mächtig heiß werden. Ideal zum Badengehen.
    Nö, nichts Besonderes, antwortete ich. Am Samstagabend holt mein Dad mich zum Essen ab. Das ist es dann auch.
    Erzähl mir doch mal was von ihm, sagte Frank. Wie schafft es ein Typ, eine Frau wie deine Mutter zu verlieren?
    Hat was mit seiner Sekretärin angefangen, sagte ich. Sogar mit meinen dreizehn Jahren merkte ich, wie peinlich und ordinär das klang. Es war, als würde man zugeben, sich in die Hose gepisst oder einen Ladendiebstahl begangen zu haben. Die Geschichte war nicht mal interessant. Nur erbärmlich.
    Will dir echt nicht zu nahe treten, Junge. Aber wenn das wirklich stimmt, kann man deine Mutter eigentlich nur beglückwünschen. So ein Typ hat eine Frau wie sie nicht verdient.

    Es war lange her, seit ich meine Mutter so gesehen hatte, wie sie an diesem Morgen in die Küche kam. Ihre Haare, die sie sonst im Nacken zusammenband, fielen ihr auf die Schultern und sahen viel luftiger aus als sonst, als hätte sie auf einer Wolke geschlafen. Außerdem trug sie eine Bluse, die sie vorher noch nie angehabt hatte – weiß mit
Blümchen –, und den obersten Knopf hatte sie offen gelassen. Nicht so weit offen, dass sie billig wirkte – ich musste immer noch an den Satz über die Nachtclubtänzerin in Las Vegas denken –, aber locker und einladend. Sie hatte Lippenstift aufgelegt und trug Ohrringe, und als sie näher kam, roch ich, dass sie Parfum benutzt hatte. Ein zarter Hauch von

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