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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Scheer
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zu haben. Die anderen beteten oder schwiegen.
    Todesangst. Alles kann hier und jetzt enden, dachte ich. So fühlen also die Tiere, bevor sie geschlachtet werden, dachte ich auch. Alles war verwirrend. Meine Gedanken auch. Von einem zum anderen sprang ich, ohne etwas zu verstehen, ohne mich zu verstehen. Die ruhige Stimme des Piloten unterbrach meine sinnlosen Gedanken.
    Ein leichter Sturmwind, erörterte der Pilot mit seiner angenehmen, tiefen Stimme. Nur ein leichter Sturmwind, er ist fast vorbei, bitte ruhig bleiben, nur ein leichter Sturm über dem Meer, dem Mittelmeer. Als der Pilot das Wort Mittelmeer sagte, bebte seine Stimme. Er hat sich mit dem Wort Mittelmeer verraten, dachte ich.
    Meine Hände schwitzten. Ich trocknete sie an meiner Hose. Die Stewardessen kamen aus ihrem Versteck hervor. Sie lächelten und zeigten weiße junge Zähne. Dann lächelten sie nicht mehr, bis sie gar nicht mehr zu sehen waren. Sie hatten sich anscheinend wieder in ihr Versteck zurückgezogen. Der Sturmwind war noch nicht vorbei. Der Wind wehte noch stark, aber nicht mehr so ungeheuer stark.
    Keine Stewardessen, nur das Drehen des Flugzeuges. Und das Drehen meines Körpers und Kopfes. Ich spürte meinen Magen. Alles kam hoch. Ich atmete tief.
    Ich wollte noch nicht sterben. Nicht vor dem Artikel. Auch die Nonne nicht. Jetzt stürzen wir, jetzt sterben wir, bitte vergib uns, lieber Herr, wiederholte die Nonne. Sie machte mich wahnsinnig. Ich wollte mich nicht übergeben. Noch nicht. Bitte noch nicht, hörte ich mich sagen.
    Nach einigen Minuten, die wie die Ewigkeit erschienen, wurde es ruhiger. Die Stewardessen brachten uns Getränke. Sie lächelten, aber nur noch mechanisch, wenn überhaupt. Sie atmeten auf, wir alle atmeten auf. Ich atmete tief ein und tief aus, machte mir weiter Gedanken über meine Arbeit.
    Die Privatisierung des Krieges ist Realität geworden, dachte ich in dem El-Al-Flugzeug, das sich über dem Mittelmeer, nach der Überwindung des Sturms, langsam, aber sicher den Weg ins Heilige Land bahnte.
    Jetzt stürzen wir, jetzt sterben wir. Die Worte der Nonne klangen noch nach.
    Großer Applaus wurde bei der makellosen Landung gespendet. Die Leute pfiffen sogar, so froh waren sie. Diesmal war es äußerst knapp, sagte ich mir und schaute auf meine Armbanduhr. Keine Verspätung. Meine Hände zitterten.
    Nicht abgestürzt, nicht gestorben, sagte ich mir.
    Die Nonne lächelte und wollte mir eine Bibel schenken.
    Ich war überrascht, dass ich noch lebte, und noch mehr war ich von mir selbst überrascht, ja verblüfft, dass ich dieses einen Artikels wegen darauf beharrt hatte, dieses sinnlose Leben weiter leben zu wollen. Jetzt verstand ich nichts mehr. Nicht mich und nicht die Welt. Gott auch nicht. Natürlich nicht, weder mich noch die Welt, geschweige denn Gott, dachte ich.
    Nun war die Leere allgegenwärtig.
    Als ich auf meinen Koffer am Flughafen wartete, musste ich immer wieder lachen. Was für ein Mensch bin ich, sagte ich mir. Und lächelte.
    Mit ihrem Rosenkranz in der Hand stand die Nonne neben mir.
    Ein religiöser Jude erwiderte mein Lächeln, eine Dame zwinkerte mir zu. Ich seufzte unwillkürlich, schaute auf eine große Uhr an der Wand in der Halle. Pünktlich, dachte ich und verstand nicht, warum ich tat, was ich tat. Ich zitterte noch ein wenig und roch nach Schweiß.
    Im Ben-Gurion-Flughafen sah es friedlich aus. Es schien, als kümmerte sich niemand um den Krieg im Norden des Landes oder um ein beinah abgestürztes Flugzeug. Und warum sollte man auch? Hier war das Zentrum des Landes und nicht der Norden.
    Alles schien hier normal zu sein.
    Natürlich war die Atmosphäre hektischer als in vielen anderen Ländern, in denen ich oft haltmachte, aber das war nichts Besonderes, nur die normale Hektik des Nahen Ostens.
    Ich fühlte mich gleichzeitig zu Hause und doch auch wie ein Fremder, vollkommen heimisch in diesem urvertrauten Zwiespalt.
    Die Nonne und die schwarz gekleideten Menschen waren weg.
    Mein Koffer kam und war nicht zerstört. Ich suchte nach einem Taxi. Fand sofort eins. Anderes Land, anderer Duft. Ich inhalierte die mediterrane Luft tief in meine Lungen. Los geht’s, dachte ich.
    Der Taxifahrer, der mich zu meinem Hotel in Tel Aviv fuhr, sagte mir, dass der Krieg im Norden nicht alle Menschen in Israel interessiere. Die Leute hier, sagte er noch, haben es satt, alle fünf bis sieben Jahre in den Krieg zu ziehen, statistisch gesehen. Insbesondere die Leute in Tel Aviv sind desinteressiert,

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