Der Duft von Hibiskus
zunächst eine Tasse Tee, und dann erklären wir ihr in aller Ruhe, was es mit unserer Forschungsreise auf sich hat. Zeit genug haben wir ja.« Er zwinkerte Emma zu. »Wir brauchen nämlich gute vier Stunden bis Brisbane.«
Emma atmete auf. Dass dieser Fremde ihr alles erklären wollte und ihr zudem eine Tasse Tee anbot, ohne dass sie darum gebeten hatte – eine Geste der Fürsorglichkeit, die sie seit Monaten nicht mehr erfahren hatte –, trieb ihr vor Dankbarkeit fast die Tränen in die Augen. Ach ja, eine Tasse Tee, an der sie sich festhalten konnte! Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war. Die Anspannung der letzten Monate, die Aufregung des Vormittags, die Ungewissheit, wie es nun weitergehen würde: Alles, so kam es ihr in diesem Moment vor, würde sich besser ertragen lassen, wenn sie erst vor einem tröstlich dampfenden Tee saß.
Kaum bin ich in einer englischen Kolonie, benehme ich mich wie eine Engländerin, dachte sie mit müdem Spott, während sie Krüger und dem leise murrenden Pagel in den Salon folgte. War das nun gut oder schlecht? Was hätte Ludwig wohl dazu gesagt?
Die Klavierstunde im letzten Herbst fiel ihr ein, in der sie Ludwig gebeten hatte, ihr ein Stück des englischen Komponisten Henry Purcell beizubringen. Ludwig hatte gelacht und sich einen Kuss gestohlen, und dann hatte er ihr ins Ohr geflüstert: »Bleib mir mit den Engländern vom Leib, Liebchen. Es reicht mir schon, dass Auguste mir ständig mit einer Reise auf die Insel in den Ohren liegt! Aber die Reise wird sie nicht bekommen, denn das würde ja bedeuten, dass ich dich«, noch ein gestohlener Kuss, »allein lassen müsste.« Die Erwähnung Augustes hatte Emma wie immer einen Stich versetzt, den sie, ebenfalls wie immer, mit einem Lächeln überspielt hatte.
Sie schüttelte die Erinnerung ab und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Eine Tasse Tee und genügend Informationen, um Crusius und – wie hieß er noch? Scheerer? – nicht völlig unwissend gegenüberzutreten: Das war es, was sie jetzt brauchte.
Denn es gab wohl nichts, was in Australien unnötiger war als die Sehnsucht nach gestohlenen Küssen.
Eine halbe Stunde später fühlte Emma sich nicht mehr ganz so verloren. Dank Hermann Krügers geduldigen Erklärungen wusste sie nun, dass Carl Scheerer der Leiter der kleinen Forschungsgruppe war, der sie zukünftig angehören würde. Scheerer war vor Jahren aus Deutschland eingewandert und stand seitdem in Diensten der Kolonialregierung New South Wales, die ihn in den Busch schickte, um Flora und Fauna zu erforschen. Mittlerweile hatte er sich einen exzellenten Ruf als Forscher erworben, was auch seinen Expeditionen zugutekam: Sie wurden von der Regierung sehr gut ausgestattet, was, wie Krüger anmerkte, in Australien keineswegs der Normalfall war.
Was Krüger und Pagel betraf, so waren sie unmittelbar nach ihrem Medizinstudium nach Australien gekommen. »Abenteuer, Sie verstehen«, mischte Pagel sich ein und strich fast zärtlich über sein Gewehr.
Krüger sah weniger glücklich drein. »In zwei Jahren wollen wir aber wieder daheim sein«, sagte er.
Pagel klopfte ihm auf die Schulter. »Sehnsucht nach deinem Liebchen, was? Die ist noch nicht reif für die Ehe, Hermann, die gehört noch für eine Weile auf die Weide. Ich dachte, darüber seien wir uns einig.«
Krügers Gesicht wurde bei diesen Worten so rot wie sein Vollbart, doch er wehrte sich nicht gegen den wenig schmeichelhaften Vergleich seiner Liebsten mit einem Stück Vieh.
Als er schwieg, fügte Pagel streng hinzu: »Durchhalten, Kamerad.«
Emma fragte sich unwillkürlich, was diese ungleichen Freunde wohl zusammenhielt.
Jedenfalls hatten Pagel und Krüger sich nach ihrer Ankunft sofort darum beworben, für die Kolonialregierung an Forschungsreisen teilzunehmen. Dass sie mit diesem Ansinnen Erfolg hatten und überdies dem renommierten Forscher Carl Scheerer zugeteilt wurden, war, wie Emma heraushörte, vor allem Georg Pagels großbürgerlicher Herkunft zu verdanken: Er stammte aus einer reichen Hamburger Kaufmannsfamilie, die ihr Geld im Überseehandel verdiente, und sein Vater verfügte über gute Kontakte nach Australien.
»Mit dem richtigen Schreiben an die richtige Person«, sagte Pagel selbstgefällig, »öffnen sich die richtigen Türen ganz von selbst.«
»Das richtige Selbstbewusstsein haben Sie ja schon«, rutschte es Emma heraus. Im gleichen Moment hätte sie sich für ihre vorlaute Art ohrfeigen können. Was musste er von ihr
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