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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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nicht Kälte und Graupelschauer sie umfingen, wenn sie ins Freie trat, sondern Sonnenglut. Die Vorstellung, dass hier der November ein Spätfrühlingsmonat war und dass das Weihnachtsfest im Sommer stattfinden würde, fand sie nach wie vor gewöhnungsbedürftig.
    Zu Hause schneit es vielleicht schon , dachte sie träumerisch.
    Sie lehnte sich an die Reling und schaute auf das grüne, schäumende Wasser des Flusses unter sich. Dann hob sie den Kopf und kostete bewusst den Augenblick aus, auf den sie so lange gewartet hatte. Sie fühlte sich fast feierlich: Zum ersten Mal sah sie in aller Ruhe australisches Festland.
    Es war dicht bewaldet. Nichts wies auf die Existenz von Menschen hin. Grün in allen Schattierungen, ein undurchdringliches Gewirr starker Stämme mit sattgrün glänzenden Blättern, darüber der tiefblaue, vor Hitze flirrende Himmel. Erstaunt registrierte Emma, dass manche der Bäume bis ins Wasser hineinwuchsen; ihre Wurzeln ragten aus dem Fluss wie dürre Knochen. Konnten das Mangroven sein? Von ihnen hatte Herr Crusius an jenem Abend in Stuttgart erzählt.
    Wie merkwürdig, dachte Emma, einen ganzen Wald zu sehen, ohne auch nur einen einzigen Baum sicher benennen zu können!
    Das war sie nicht gewöhnt, hatte sie Bäume, Blumen und Gräser daheim doch stets mit geübtem Blick einzuordnen gewusst. Würden ihr diese Kenntnisse hier überhaupt nichts nützen?
    Spontan wandte sie sich an die vornehme junge Dame neben ihr, die, von einem zierlichen Sonnenschirm geschützt, ebenfalls das Ufer betrachtete. In unsicherem Englisch brachte sie hervor: »Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, ob es sich bei den Bäumen im Wasser um Mangroven handelt?« Zumindest hoffte Emma, dass sie das gesagt hatte.
    Offensichtlich hatte die junge Dame sie verstanden, denn sie antwortete sogleich. »Das weiß ich leider nicht«, sagte sie gelangweilt.
    Oh.
    »Und die Bäume mit den hellen Stämmen, sind das Eukalypten?«, wagte Emma einen zweiten Anlauf.
    »Mag sein«, sagte die Dame gleichgültig. »Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise haben sie noch gar keinen Namen.«
    »Es gibt Abertausende namenloser Pflanzen hier, und viele sind höchstens einigen Forschern bekannt«, mischte sich ein älterer Herr ein. »Wenn Sie sicher sein wollen, müssen Sie sich an den Botanischen Garten in Sydney wenden.«
    Emma verschlug es die Sprache. Sie sollte sich an einen endlose Meilen entfernten Botanischen Garten wenden, um zu erfahren, wie eine Baumart hieß, deren Vertreter zu Hunderten am Ufer dieses Flusses wuchsen? Waren den Menschen hier denn nicht einmal die häufigsten Pflanzenarten bekannt?! Das war absurd, fand sie; als würde sie zu Hause in Stuttgart einen gebildeten Menschen nach einem Veilchen fragen und als Antwort auf den Botanischen Garten in Hamburg verwiesen.
    »Danke«, murmelte sie und wandte sich ab. Sie schaute wieder auf die Bäume mit den seltsamen Wurzeln. Offensichtlich würde ihr das Wissen, das ihr Vater ihr vermittelt und an das sie anzuknüpfen gehofft hatte, hier tatsächlich nichts nützen. Nun, es blieb immer noch ihr Zeichentalent – der Bleistift, das geschulte Auge und die geübte Hand.
    Wie es schien, würde das genügen müssen.

4
    B risbane
    D ann stand Emma endlich auf australischem Boden.
    Er war nicht rot, wie sie es sich ausgemalt hatte, und auch nicht grau gepflastert wie die Straßen in Stuttgart, sondern grün.
    Brisbane, dachte sie, als sie neben Krüger und Pagel die Anlegestelle verließ – ihre Seekiste schleppten die beiden Forscher gemeinsam, Krüger stumm, Pagel vor sich hin schimpfend –, Brisbane ist wahrlich keine Stadt, wie ich sie kenne. Die Bezeichnung Stadt schien ihr überhaupt sehr hochgegriffen …
    Mit großen Augen blickte sie sich um. Der Ort kam ihr vor wie aus dem Spiel eines kleinen Mädchens: ein Stück Wiese am Fluss, auf das ohne jede erkennbare Ordnung einzelne Häuschen gestellt worden waren, Kirchen, Kaufläden, Gasthöfe. Straßen gab es nur sehr vereinzelt, die Menschen – vornehme Damen und Herren ebenso wie die derb gekleideten Männer, in denen Emma Viehzüchter vermutete – nahmen mit grasigen Wegen vorlieb. Auch Straßennamen und Hausnummern entdeckte Emma nirgends. Dennoch herrschte ein geschäftiges Leben, ganz wie in einer normalen Kleinstadt, und das Stimmengewirr wäre Emma fast vertraut vorgekommen, hätte es sich nicht um Englisch gehandelt und hätte nicht das Gekreische fremdartiger Vögel die Luft erfüllt.
    Die einstöckigen

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