Der Duft von Hibiskus
Stuttgart. Aber mein Pferd war deutlich kleiner, und außerdem …« Sie biss sich auf die Zunge. Nein, das konnte sie ihm nicht sagen. Unmöglich!
»Außerdem?«, fragte Scheerer unerbittlich.
Emma wand sich. »Ich habe nicht die richtige Ausstattung dabei. Die eine Dame braucht, um zu reiten. Ach, Sie wissen schon!« Wie deutlich musste sie denn noch werden, damit er sie verstand?
Er hob fragend die Augenbrauen und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war ihm anzusehen, dass er sie so lange herumstottern lassen würde, bis sie klare Worte für ihr Problem gefunden hatte.
Ärger stieg in Emma hoch. Nun gut, er wollte es nicht anders. Würde sie eben zum zweiten Mal an diesem Tag einen Mann zum Erröten bringen.
Sie hob ihr Kinn und sagte: »Ich habe kein Reitkorsett. Also kann ich nicht reiten. Punkt.«
Wenn sie erwartet hatte, dass er sich, schockiert von ihrer Offenheit, abwenden würde, so hatte sie sich getäuscht. Er schaute ihr weiterhin in die Augen, und um seine Mundwinkel herum zuckte es.
»Kein Reitkorsett. So, so«, sagte er. »Was denken Sie denn, wofür Sie das brauchen?«
Statt seiner wurde nun sie rot. Gott, konnten Männer begriffsstutzig sein! Ihr Korsett bedeckte die Hüften so weit, dass es den Seitsitz, bei dem sie ein Bein stark anwinkeln musste, unmöglich machen würde. Außerdem war es mit so vielen Stäben versteift, dass sie mehr oder weniger unbeweglich auf dem Pferd hängen würde.
»Ein Reitkorsett ist an den Hüften verkürzt und weniger steif. Mit einem normalen Korsett kann ich nicht auf dem Pferd sitzen«, sagte sie. »Wenn ich überhaupt in den Sattel komme. Meinen Sie, ich kann hier irgendwo ein Reitkorsett kaufen?«
Sie wagte es nicht, ihn anzusehen, so sehr schämte sie sich, mit ihm über dieses Thema zu sprechen. Deshalb merkte sie erst, wie belustigt er war, als sie das Lachen in seiner Stimme hörte.
»Kaum. Aber Sie werden auch keines brauchen. Denn Sie werden nicht im Damensitz reiten.«
Vor Verblüffung vergaß Emma ihre Scham. »Nicht?«, fragte sie. »Wie denn dann?«
»Im Spreizsitz, wie wir Männer auch«, sagte Scheerer. »Und damit das gelingt, werden Sie – verzeihen Sie, wenn ich genauso offen spreche wie Sie – sowohl auf ein normales als auch auf ein Reitkorsett verzichten müssen.«
»Ich soll mein Korsett ausziehen?!« Genauso gut hätte er ihr vorschlagen können, sie solle im Nachthemd reiten!
»Nun schauen Sie mich nicht so entsetzt an. Sie wussten doch, dass im Busch keine deutsche Kleiderordnung herrschen würde, oder?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie mit dünner Stimme. »Aber … ohne Krinoline und Korsett fühle ich mich wie … wie eine Wilde.« Nackt , fügte sie im Stillen hinzu.
»Dann werden Sie sich wundern, wie viel mehr Sie immer noch tragen werden als die Frauen der Wilden.« Scheerer wurde ernst. »Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass hier nichts ist wie zu Hause. Oder, noch besser, sagen Sie Ihrem Verlobten, dass Sie es sich anders überlegt haben und lieber in Brisbane bleiben, wo Sie Ihr Korsett tragen können. So oder so: Treffen Sie Ihre Entscheidung, Fräulein Röslin.«
Ihr Herz klopfte, und einen winzigen Moment lang war sie versucht, alles abzusagen. Sich in Brisbane eine Stellung als Hausmädchen zu suchen und so ihr Dasein zu fristen.
Doch der Moment ging vorüber. »Selbstverständlich komme ich mit«, sagte sie.
Er nickte kurz, als habe er nichts anderes erwartet. Der Rappe, den er immer noch am Zügel hielt, schnaubte und riss den Kopf hoch. Scheerer tätschelte ihm den Hals.
»Tut mir leid, Junge. Ich glaube, wir brauchen ein frommeres Tier als dich.«
Er band das Pferd wieder an und trat in die dunkle Holzhütte. Über die Schulter sagte er zu ihr: »Ich besorge Ihnen ein ruhiges Pferd. Über die Ebene sprengen wie eine Amazone werden Sie dann zwar nicht, aber immerhin«, seine Augen funkelten spöttisch, »bleiben Sie im Sattel. Und jetzt gehen Sie und entledigen sich Ihrer unnötigen Utensilien. Lassen Sie sie bei Ihrem Gepäck, Sie werden sowieso nicht viel mitnehmen können.«
Emma nickte. Die Seekiste und der Großteil des Inhaltes würden im Gasthaus auf Emma warten, bis sie von der Expedition zurückkäme. Nun würde sie eben auch noch Korsett und Krinoline zurücklassen. Ein paar Stücke mehr oder weniger, was machte das schon aus?
Im Zurücklassen, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf, bist du mittlerweile wirklich gut.
6
I m B usch
G leich hinter Brisbane begann die
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